Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
flüsterte er ihr ins Ohr.
«Wieso bist du hier?» fragte Isabelle.
«Ach ... ich hatte so ein Gefühl ... Ich wollte dich gern wiedersehen. Es ist soviel Zeit vergangen seit unserem letzten ...» Er brachte den Satz nicht zu Ende, sondern sah sich kurz um und stand auf. Rasch öffnete er die Vorhänge, ging von Fenster zu Fenster, bis er am Ende des Schlafzimmers angelangt war. Isabelle sah ihm zu. Er kleidete sich besser als früher. Vielleicht hatte er sich auch nur mit besonderer Sorgfalt so angezogen, um ihr zu gefallen. Er trug bordeauxfarbene Budapester, eine leichte Flanellhose, ein blauweiß gestreiftes Hemd und einen blauen Blazer.
Vor Monets Seerosenteich blieb Jon stehen. Das Gemälde hing jetzt im schönsten Nachmittagslicht. Eine Weile betrachtete er es schweigend. Was für ein wunderbarer Mann, dachte Isabelle und sah ihm dabei zu, wie er regungslos dastand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Dann drehte er sich um.
«Das ist es also!» sagte er, kam zu ihr zurück und setzte sich aufs Bett. «Paßt wunderbar in diesen ... Raum. Du wohnst in einem Palast, Isabelle! Wie groß ist die Wohnung?»
«Ich glaube ... dreihundert Quadratmeter ...»
«Unfaßbar.»
«Unwichtig.»
«Schön!»
«Jon, ich bin völlig überrascht ... was machst du hier? Und wieso sagst du: Das ist es also? Woher weißt du von dem Monet?»
«Ich habe dein Foto in der Zeitung gesehen. Alle Zeitungen haben darüber berichtet, daß die Modeschöpferin Belle Corthen sich in New York einen Monet gekauft hat.»
«In der Zeitung. Ich hasse das! Mein Anwalt hat mir gleich gesagt, ich solle nicht selbst zur Auktion gehen, aber weißt du ...» Sie brach ab. «Es ist ganz seltsam», fuhr sie fort, «ich habe vorhin an dich gedacht. Ich habe gedacht: Wenn doch Jon hier wäre. In letzter Zeit ging es mir oft so.»
«Und warum hast du dich dann nicht gemeldet?»
«Ich weiß nicht. Ich weiß nicht.» Sie knuffte ihn mit der Faust gegen die Brust. «Taucht hier plötzlich auf ...»
«Verärgert?»
«Quatsch. Das war ja immer so deine Art.» Sie hielt sich die Hand vor die Augen, als blendete sie die Sonne. «Es war ja nie anders zwischen uns.» Mit einer raschen Bewegung wandte sie das Gesicht ab. Sie wollte nicht weinen. Auf keinen Fall. Beide schwiegen einen Moment.
Jon versuchte zu verhindern, daß die Situation peinlich werden könnte. «Und die nimmst du alle», konstatierte er mit einem Blick auf den Nachttisch und tippte, so beiläufig wie möglich, mit seinen Fingerspitzen auf die Tablettenschachteln, -gläser, -röhrchen und die kleine silberne Pillendose, ein Geschenk Remos, in deren Deckelinnenseite er, der treue Freund, ihren Namen hatte eingravieren lassen ... Belle.
«Ja.» Sie blickte auch zum Nachttisch. «Damit ich schlafen kann ... die da ...», zeigte sie, «zum Einschlafen, die zum Durchschlafen ... das wiederum sind welche, die munter machen ...» Isabelle hielt inne und sah ihn an. Plötzlich war ihr eingefallen, daß Jon Arzt war. Ihre Blicke trafen sich. Und tatsächlich. Er guckte nicht mehr wie ein Freund. Er guckte wie ein Mediziner.
«Na ja. Wem sage ich das.» Sie lächelte kurz. «Herr Doktor!» Sie schaute weg, wischte imaginäre Fusseln von ihrer Bettdecke und versuchte, einen Scherz zu machen. «Weißt du, ich habe mich all die Jahre ... als kleine Modedesignerin, als ‹große› Modeschöpferin, als Chefin eines Modeimperiums ... strikt daran gehalten, ebendiese Moden unserer Branche nicht mitzumachen. Schon lange kaum noch Alkohol. Niemals Drogen. Clean. Bis auf diese kleine Schwäche ... tablettenabhängig ...»
Jons Blick wurde unruhig. Er wirkte wie ein Reisender, der nach einer langen Fahrt im Bummelzug nun plötzlich und in letzter Minute einen ICE erreichen mußte, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. «Isabelle, hör mir zu ... ich hätte es dir schon längst sagen sollen. Wir beide, du und ich ... wir haben unser ganzes ... unser halbes Leben damit verbracht, uns aus dem Weg zu gehen.» Er schien den Faden verloren zu haben, begann von neuem. «Ich habe dein Foto gesehen, ich habe gespürt, da drüben in Deutschland, in unserem dummen kleinen Dorf, wie einsam du hier bist, in dieser Riesenstadt. Ich habe auf dem Bild von dir erkannt, daß es dir nicht gutgeht.»
«Es stimmt. Es geht mir nicht gut. Seit das Unternehmen verkauft ist ... ich bin am Ende, Jon.»
«Nein, das bist du nicht. Im Gegenteil. Du bist am Anfang.» Er nahm ihre linke Hand zwischen seine Hände und
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