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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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schätzen. Er war dankbar und er war stolz, auf Philip und auf sich, daß es ihm gelungen war, aus ihm so einen prächtigen Burschen zu machen. Gebe Gott, daß es immer so bliebe. Mit diesen Gedanken legte er sich zu Bett, nahm die Zeitung und setzte seine Lektüre fort. Als er den Wirtschaftsteil erreicht hatte, den er normalerweise überblätterte, fiel ihm eine Schlagzeile auf, an der er hängenblieb: Belle Corthen verkauft Modeimperium. Jon verschlang förmlich den Artikel, in dem stand, daß Isabelle das Unternehmen an ihre Mitgesellschafter zu einem Preis, über den man nur spekulieren könne, veräußert und sich aus ihrem Geschäft zurückgezogen habe. Nüchterne Wirtschaftsdaten und -fakten folgten, kein Wort stand in dem Bericht darüber, warum sie es getan hatte und was sie künftig zu tun gedachte. Jon ließ die Zeitung zu Boden sinken und richtete sich in seinem Bett auf. Wie seltsam, dachte er, daß ich ausgerechnet heute abend mit Philip über sie gesprochen habe.
    Vor dem Einschlafen überlegte er noch, wie es ihr wohl ging und ob er sie morgen anrufen sollte.
    Doch er tat es nicht. Jahre sollten noch vergehen, bis ein Ereignis die Entscheidung bei ihm auslöste, die alles verändern sollte, bis er den Schritt wagte, den zu tun er sich Jahrzehnte nicht getraut hatte, bis er sich auf den Weg machte zu einer langen Reise. Einer langen Reise, die seine Unruhe beenden, seinem Herzen Frieden schenken sollte.

Kapitel 30
    Von unten drang, gedämpft zwar, doch ununterbrochen, wie das Rauschen des Meeres, der New Yorker Straßenlärm in Isabelles Schlafzimmer. Sie hatte am Morgen Elena angewiesen, die Seidenvorhänge geschlossen zu lassen; Isabelle wollte nicht wissen, wie spät es war, wie hell draußen, wie dunkel, ob Tag oder Nacht.
    Sie lag einfach nur da, in ihrem Bett, die Decke bis zum Hals hochgezogen, und versank in Erinnerungen. Vier Jahre lebte sie schon in New York. Alles war anders gekommen, als sie es sich erträumt hatte.
    «Du kannst nicht einfach weglaufen», hatte Patrizia ihr zum Abschied gesagt, «weglaufen vor dir selbst. Wohin du auch flüchtest, du nimmst dich immer mit.»
    Sie hatte recht gehabt. Nach den ersten Wochen der Euphorie, des Einrichtens der Wohnung, des Sichumschauens, der Kontaktaufnahme, des Aufsaugens und Einlebens war auch hier sehr schnell das Gefühl von Rastlosigkeit zurückgekehrt, mehr noch, es hatte sich eine Leere in ihrem Leben breitgemacht, die Isabelle in andauernder Traurigkeit versinken ließ, in Müdigkeit und Überdruß. Sie verlor das Interesse an der Vitalität New Yorks, an den In-Restaurants, den Cocktails, Broadway-Premieren, Einladungen bei den Upper-East-Side-Menschen, die sich anfangs um sie gerissen hatten. Morgens kam Isabelle nicht mehr aus dem Bett. Tagsüber, nachdem sie alle schicken Läden, alle Museen und Sehenswürdigkeiten durchhatte, tigerte sie von einem Raum ihrer Wohnung zum anderen, stöberte in ihrer Vergangenheit, träumte von einer Zukunft, die sie eigentlich schon hinter sich hatte, telefonierte stundenlang mit Patrizia, um dann erschöpft und desinteressiert aufzulegen und nicht mehr zu wissen, wie sie die Zeit totschlagen sollte. Sie aß Spatzenportionen, die ihr Elena zubereitete, zappte durch die Fernsehlandschaft, ging schon nachmittags zu Bett, grübelte und schlief, schlief und grübelte.
    Isabelle drehte sich auf die Seite und dachte an Carl. An die Elbvilla der Trakenbergs und daran, wie sie und ihre Mutter angekommen waren in Hamburg, an jenem Regentag vor dreißig Jahren, durch den Dienstboteneingang direkt in die Küche, wo Gretel Burmönken ihr eine Tasse mit heißem Kakao gab, zum Aufwärmen. Die Küche mit dem Holztisch in der Mitte, an dem zu jeder Stunde des Tages irgend jemand saß; das Reich der Burmönken, wie Carl so gern gesagt hatte; dieser Hort der Geborgenheit, in dem immer etwas gebacken und gebraten wurde, in dem es unablässig blubberte, dampfte, klapperte, schmorte, zischte, in dem es so wunderbar nach selbstgebackenem Brot roch, nach Kaffee, nach Suppe oder Sandkuchen, nach geschältem Spargel im Frühling, nach Erdbeeren oder Sauerkirschen im Juli; im Herbst durchzogen vom Geruch der Steinpilze, die, auf Zeitungspapier ausgebreitet, von Gretel geputzt wurden; Weihnachten dann schließlich nicht nur hier, sondern im ganzen Haus, der Duft von Zimtplätzchen, Rotweinpunsch und Vanille. Es waren die kleinen Dinge, die am Ende die schönsten Erinnerungen waren, die kleinen Dinge, die das Leben reich

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