Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
auswandern wollten:
Bei Altona auf der Chaussee,
Da taten ihnen die Beine weh.
Nach einer Viertelstunde hatte er die Tankstelle, die er im Vorbeifahren aus dem Augenwinkel gesehen hatte, erreicht. Sie lag etwas zurückgesetzt zwischen alten, heruntergekommenen Wohnhäusern. Er ging auf das ellipsenförmige Flachdachgebäude mit seinen grellen Metallschildern zu. Die Tankstelle war bereits geschlossen. Er blieb eine Weile an den Zapfsäulen stehen, sah sich kurz um und überlegte, was er nun tun könne. Die einzige Möglichkeit war, zum Taxistand am Altonaer Bahnhof zu gehen, etwa eine weitere Viertelstunde entfernt. Sein Ärger wuchs. Zu allem Überfluß fing es nun auch noch heftig an zu regnen. Um nicht klatschnaß zu werden, stellte Carl sich unter den Dachvorsprung der Tankstelle.
Ein junger Mann, Carl schätzte ihn auf höchstens achtzehn Jahre, kam zigaretterauchend und sein Fahrrad schiebend hinter dem Gebäude hervor. Sie sahen sich an.
«Abend», sagte der junge Mann.
«Abend!» Carl sah nervös zum Himmel. Er wollte hier weg.
Der Junge stellte sich ebenfalls unter. «Kann ich Ihnen irgendwie helfen?»
«Helfen?»
Der Junge zeigte mit dem Daumen hinter sich. «Ich arbeite hier.»
«Oh.»
Es donnerte.
«Na ja», erklärte Carl, «ich bin mit meinem Auto liegengeblieben.» Er lächelte den Jungen an, fast etwas verlegen. «Kein Benzin, wissen Sie?»
Es blitzte. «Verstehe.» Der Regen wurde stärker. Er prasselte auf den kleinen Kopfsteinpflasterplatz vor der' Tankstelle. Der Junge schnippte seine Zigarette weg, sie wurde in einem Gulli fortgespült. «Sommerregen! Find ich prima.»
«Na ja», Carl zuckte die Achseln, «wie man's nimmt.»
Der junge Mann lehnte sein Fahrrad gegen das Glasfenster der Tankstelle. «Kommen Sie!» sagte er, sprang mit einem Satz unter dem schützenden Dach hervor und flitzte um die Ecke.
Carl folgte ihm. Auf der Rückseite gab es eine Werkstattür, die der Junge hastig aufschloß. Sie gingen hinein und schüttelten sich drinnen wie zwei nasse Hunde.
«Ich habe hier ...», er ging in eine Ecke und wühlte in einem Stapel von Autoreifen und Zeitungen herum, «noch einen vollen Kanister. Der gehört meinem Chef. Aber der ist schon weg. Schlüssel für die Zapfsäule hab ich natürlich nicht, aber hier sind fünf Liter drin.» Er gab Carl den Kanister.
Carl stellte ihn ab. «Was kriegen Sie?» Er griff in die Innenseite seiner Anzugjacke, dann klopfte er mit den flachen Händen seine Hosentaschen vorn und hinten ab. «Ach ... blöd aber auch ... ich habe kein Geld dabei. Ob Sie's nun glauben oder nicht.»
«Ich glaub's!»
Carl sah den jungen Mann eine Sekunde erstaunt an. Ein netter Bengel mit einem ausdrucksstarken Gesicht. Zwischen seinen Schneidezähnen prangte eine Zahnlücke.
«Ich habe Geld in meiner Aktentasche. Die liegt in meinem Auto.»
«Wo stehen Sie denn?»
«In der ... ich weiß nicht, wie die Straße heißt. Ein paar Ecken von hier. Wenn Sie noch Zeit haben und hier warten, dann laufe ich schnell hin, fülle das Benzin ein und komme zurück, um Ihnen das Geld zu bringen.»
«Och», der junge Mann winkte ab. «Sie können es auch ein andermal bezahlen. Ich trau Ihnen schon.»
Wie nett, dachte Carl, wie nett.
«Ich kann auch eben mitkommen.»
«Sie trauen mir doch nicht.»
«Mein Chef traut mir nicht. Sagen wir mal so.»
«Na ja», Carl grinste, «ich sage immer: Abgerechnet wird am Schluß.»
Mit eingezogenen Köpfen verließen sie das Gebäude.
«Hören Sie», erklärte der Junge, während er, von Carl gefolgt, um die Tankstelle herum zu seinem Fahrrad lief, «wenn Sie sich hintendrauf setzen, geht's schneller!»
«Auf den Gepäckträger?»
«Aber ja! So was haben Sie doch früher sicher auch gemacht. Werden sich doch noch dran erinnern, wie's geht.» Er schwang sich auf sein Rad. Skeptisch setzte sich Carl seitlich hintendrauf, und der Lehrling fuhr los. Klitschnaß erreichten sie das Auto. Der Junge übernahm sofort die Regie. Zwei Minuten später hatte er das Benzin in den Tank gefüllt. Sie setzten sich ins Auto, und Carl öffnete sein Portemonnaie.
«Wie heißen Sie?» fragte er den Jungen.
«Peter Ansaldi.»
«So – Peter Ansaldi. Dann sage ich schönen Dank!» Er gab ihm fünfzig Mark, ein Vermögen für einen Lehrling.
Der nahm den Schein und starrte ihn an wie Falschgeld. «Das ist viel zuviel!»
«Sie haben mir aber auch sehr geholfen!»
Peter besann sich. Wieselflink schob er den Fünfziger in die Brusttasche seiner
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