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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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schwärmten. Außerdem erhielten sie die Erlaubnis, sich mit ausrangierten Teilen aus Charlotte Trakenbergs Garderobe zu verkleiden.
    Das war etwas, was Isabelle besonders viel Spaß machte. Viviens Mutter verwahrte in einem Zeitungskorb im Kaminzimmer Zeitschriften wie die Constanze oder die französische Vogue. Die Mädchen liebten es, sich an Regentagen auf dem butterweichen Sofa zu lümmeln und in Modeillustrierten zu blättern. Isabelles Vorbild wurde Twiggy. Von der «Bohnenstange» hielt Ida rein gar nichts, und einen Minirock zu tragen, verbot sie ihrer Tochter strikt. Das führte zu einer ersten kleinen Krise in der neuen Freundschaft zwischen den Mädchen. Viviens Vater brachte ihr von einer London-Reise ein paar Teile aus der Mary-Quandt-Kollektion mit. Begeistert trug sie die Sachen, genoß ihren Triumph in vollen Zügen und spielte ihre Überlegenheit gegenüber der Haushälterinnentochter aus. Isabelle war verletzt und traurig. Doch auch das verbarg sie. Statt dessen zeigte sie eine nie geahnte Hartnäckigkeit und durfte – nach langem Krakeelen und dank der gütigen Unterstützung Gretels – ihre Haare nach Twiggy-Manier kurz schneiden. Das wiederum erlaubten die Trakenbergs ihrer Tochter nicht. Vivien und Isabelle waren wieder quitt.
    Im Kampf gegen elterliche Verbote entwickelten die Mädchen eine Art von Solidarität, die durch gemeinsame Heimlichkeiten bestärkt wurde. Der erste Lidstrich im Bad von Charlotte Trakenberg: atemlos, berauschend. Das Blättern in der Bravo mit ihrem Aufklärungsteil: begleitet von Kichern und zarter Erregung. Die allererste Zigarette, hinten im Garten im Pavillon gepafft, eklig, schwindelerregend und wunderbar. Sie probierten aus den Kristallflakons, die auf einem Teewagen im Eßzimmer standen, klebrigen Sherry und schweren Cognac, der sie erst beschwipst machte und dann so mutig, daß sie mehr und mehr tranken. Bis sie, schließlich betrunken, die halbleeren Flaschen mit Wasser auffüllten.
    Natürlich wurde ihre Tat entdeckt. Der Zustand, in dem sie sich befanden, war unübersehbar. Gretel hielt Isabelle die Stirn, während das Mädchen vor der Toilettenschüssel kniete und sich erbrach. Ida erteilte ihr Stubenarrest. Darüber hinaus sprach sie mit Charlotte, weil sie glaubte, deren Tochter habe auf ihr Kind einen schlechten Einfluß. Umgekehrt sei es wohl, fand Charlotte, «Gott, schrecklich!» Die Mütter beschlossen, den Töchtern den Umgang miteinander zu verbieten. Doch das währte nicht lange. Die Mädchen setzten sich durch.
    Die Villa Trakenberg wurde für Isabelle zu einem märchenhaften Ort. Sie ging durch das Haus wie Alice durchs Wunderland. Die prächtigen hohen Räume. Die alten Meister an den Wänden, die Isabelles Phantasie in Bewegung setzten. Die antiken Möbel, die man nicht berühren durfte, aber eben doch berührte, und die einem dann eine Geschichte erzählten. Von der schönen, einsamen Grafentochter, die in jener Renaissance-Truhe ihren kostbarsten Schatz verwahrte: Briefe ihres heimlichen Geliebten. Von der Feuersbrunst, die in Siena eine Familie und einen Palazzo vernichtet und nur diesen einen mit Gobelinstoff bezogenen Sessel aus dem 18. Jahrhundert verschont hatte. Von der Mutter, die in dem österreichischen Bauernbett, das nun im Gästezimmer stand, sieben Kinder zur Welt gebracht hatte und dann darin gestorben war. Isabelle genoß das alles und sie schwor sich: So will ich eines Tages auch wohnen, so reich werde ich selbst auch einmal sein.
    Am schönsten aber war die Weihnachtszeit im Hause Trakenberg. So etwas hatte Isabelle noch nicht erlebt! Carl Trakenberg gab dem Gärtner den Auftrag, das Portal und alle Fichten mit Lichterketten zu schmücken. Der Garten funkelte, sobald es draußen dunkel wurde, und Isabelle saß allein in ihrem Zimmer über der Garage und drückte ihr Gesicht gegen die Fensterscheibe. Charlotte Trakenberg hatte schon im November in einem Blumengeschäft Dutzende von roten und weißen Weihnachtssternen bestellt, die sie im ganzen Haus verteilen ließ, für jedes Zimmer ein Weihnachtsgesteck mit einer roten Kerze und kleinen Silbersternen, einen Adventskranz von fast drei Meter Durchmesser, der von der Decke der Halle herunterhing, reich dekoriert und nach Tanne duftend.
    Überhaupt die Gerüche! Gretel legte sich ins Zeug, daß es eine Lust war. Sie backte mehrere Christstollen und Mohnstriezel, die, mit Staubzucker überpudert und mit Pergamentpapier abgedeckt, in der Speisekammer aufbewahrt wurden. Viele

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