Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
nassen Jeansjacke. «Danke. Vielen Dank.»
Der Regen klatschte gegen die Autoscheiben, die innen beschlugen.
«Wo wohnen Sie?» fragte Carl.
«Hier ... nahebei.»
Carl startete den Mercedes, der sofort ansprang. «Packen Sie Ihr Fahrrad hinten in den Kofferraum, ich bringe Sie hin!»
Während der Fahrt kamen sie ins Gespräch. Peter erzählte Carl, daß er seine Lehre zum Automechaniker vor einem halben Jahr begonnen, aber jetzt schon satt habe. Sein Chef sei ein Menschenschinder und Choleriker, die Arbeit stumpf, man würde den ganzen Tag nur Autos von unten begucken, schrauben, montieren, Rost schmirgeln und tanken, abends die Kassenabrechnung machen, morgens die Brötchen und Zigaretten für den Meister holen, und im übrigen müsse man sich von schlechtgelaunten Menschen schikanieren lassen.
«Und nur Dreck!» Wie zum Beweis zeigte er Carl, der sich sehr auf die Straße konzentrieren mußte, seine rabenschwarzen Fingernägel. Er hatte ungewöhnlich schlanke Hände, sie waren voller Schwielen und Kratzer. «Man saut sich nur ein. Eklig!»
Peter gab ein paar Döntjes, wie er es nannte, über Kunden zum besten und brachte Carl zum Lachen. Bei einer Neuverfilmung von «Emil und die Detektive» könnte der glatt den Gustav mit der Hupe spielen, dachte Carl, und im selben Moment kam ihm in den Sinn, daß dies eine Bemerkung von Puppe hätte sein können. Seltsam, wie sehr Menschen, wenn sie einander liebten, im Laufe der Zeit des anderen Art zu denken, zu fühlen, zu lachen übernahmen. Vielleicht lag es auch nur an der Besonderheit, der Intensität ihrer Beziehung oder an Puppes originellem, starkem Wesen: Immer mehr, so schien es Carl, übernahm er ihre Ansichten und Gewohnheiten. Ja, so war es offenbar. Wenn man liebte, versank man in dem anderen, und wenn man wieder auftauchte, war man ihm nicht nur nähergekommen, sondern ein Stückchen ähnlicher geworden. Mit Charlotte war es ihm nie so gegangen.
Der Scheibenwischer quietschte.
«... selbständig?» fragte Peter.
«Wie bitte?»
«Ich hab gefragt, ob Sie selbständig sind, also nicht angestellt oder so.»
«Entschuldigung. Ich war mit meinen Gedanken woanders. Ja. Selbständig. Ich habe eine Firma im Hafen. Ich bin Kaufmann. Textilien.»
Peter zündete sich, nachdem er um Erlaubnis gefragt hatte, noch eine Zigarette an und plauderte dann ungebremst über sich und seine Vorstellung vom Leben. Einen solchen Mercedes wollte er später auch einmal haben. Er stammte aus einer Familie mit vier weiteren Brüdern, alle Arbeiter, seine Mutter hatte ihre Jungs allein durchbringen müssen, denn der Vater – offenbar ein Trinker – war eines Tages auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Seinen Lehrlingslohn gab er zu Hause ab, dafür kleidete seine Mutter ihn, bekochte ihn und gab ihm ein kleines Taschengeld. Er redete kein dummes Zeug, wie Carl fand, sondern hatte klare Absichten und kluge Ansichten.
Schließlich hielten sie vor dem Mietshaus, in dem Peter Ansaldi wohnte. Das Gewitter hatte seinen Höhepunkt erreicht. Auf der Straße hatten sich kleine Seen gebildet. Mit Blaulicht raste ein Polizeiwagen vorbei, gefolgt von zwei Feuerwehrwagen.
«Tja, dann hau ich mal schnell ab, damit Sie endlich nach Hause können. Vielen Dank noch mal für das Geld!» Er hielt Carl seine Hand hin und grinste wieder.
Carl griff in seine Sakkotasche, zog eine Visitenkarte heraus und drückte sie dem überraschten Peter in die Hand. «Hier ist meine Büroadresse», erklärte er, «ich könnte einen Lehrling gebrauchen. Wenn Sie Lust haben, können Sie den Job haben. Im- und Export.»
Peter wußte nicht, was er erwidern sollte. Er starrte abwechselnd Carl und dann die Visitenkarte an, dann öffnete er ruckartig die Beifahrertür und stieg schnell aus. Kurz steckte er noch einmal seinen Kopf hinein: «Meinen Sie das ernst?»
«Aber ja! Ich meine alles ernst, was ich sage!»
«Ja dann. Danke ...»
«Gleichfalls.»
«Tschüs!» Er knallte die Tür zu, nahm sein Rad aus dem Kofferraum, legte es sich über die Schulter und rannte ins Haus.
Versöhnt mit dem Tag und zufrieden darüber, was für ein liebenswerter und spontaner Mensch er war – die Geschichte würde Puppe gefallen! –, kam Carl nach Hause. Bei laufendem Motor öffnete er das Tor, fuhr hinein, schloß es wieder und hielt dann direkt vor den Garagen. Es hatte aufgehört zu regnen, doch Wolken verdunkelten den Himmel, es herrschte fast Nacht. Carl hatte keine Lust, den Mercedes in die Garage zu fahren. Er nahm nur
Weitere Kostenlose Bücher