Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Bleche mit buttrigen Kringeln und Plätzchen zog sie aus dem Ofen, die Isabelle und Vivien ausstechen und anschließend mit Kuvertüre bestreichen oder mit Zuckerperlen bestreuen durften.
An den Adventssonntagen bereitete Gretel literweise Weihnachtspunsch zu, der nach Orangen und Zimt schmeckte. Den Mädchen wurde sogar erlaubt, davon zu probieren. Die Speisekammer und der Kühlschrank waren bis zum Bersten gefüllt. Gänse wurden angeliefert, geräucherte Lachsseiten, Steigen mit Äpfeln und Mandarinen, Körbe mit Nüssen und getrockneten Datteln und Feigen. Gretel bestellte für den Heiligabend Bratwürstchen, für die Feiertage Karpfen und Wildschweinbraten, auf Carls Wunsch im Hafen Körbe mit Austern und, einer Tradition folgend, für den Silvesterabend Matjesfilets, aus denen sie einen rheinischen Heringssalat zubereitete, in so großer Menge, daß er am Neujahrstag in der Nachbarschaft verteilt werden mußte.
Sie kochte Suppen, sie brutzelte, schmorte und schmurgelte, und die Gerüche zogen so verlockend durchs Haus, daß Carl hinunter in die Küche kam und fragte: «Kriegen wir 'ne Hungersnot, Burmönken?» Statt zu antworten, stellte sie ihm einen Teller mit kaltem Rinderfilet und Schnittlauchsauce zum Probieren auf den Tisch, und er blieb den ganzen Nachmittag bei ihr in der Küche und redete mit ihr über das Leben. Isabelle, die zum Gemüseputzen angestellt worden war, stand dabei und hörte fasziniert zu.
Für Ida war es eine anstrengende Zeit. Die Trakenbergs gaben viele Abendessen und Cocktails, und das Haus mußte jeden Tag auf Hochglanz gebracht werden. Es war so viel Arbeit, daß Gretel und Isabelle ihr helfen mußten. Als schließlich das Weihnachtsfest kam, war sie so erschöpft, daß sie am liebsten ins Bett gegangen wäre. Hinzu kam, daß sie mit ihrem Kind zum erstenmal ohne Hermann feiern mußte. Das machte ihr das Herz schwer, und sie konnte ihre Trauer vor Isabelle kaum verbergen. Doch Gretel stand ihr zur Seite und machte ihr alles leichter.
Ida hatte nur einen kleinen Tannenbaum gekauft, der auf dem Sofatisch stand und mit ein paar Gartmann -Schokoladenkringeln, den wachsbesprenkelten Silberkugeln von Isabelles Großeltern und Kerzen geschmückt war. Auf einer mit grüner Borte eingefaßten und mit Engeln bestickten Weihnachtsdecke lagen die Geschenke für Isabelle. Jon hatte seiner Freundin eine Weihnachtskarte und ein Päckchen geschickt. Es enthielt ein Buch mit Schwarzweißfotos, das den Titel «Weil wir die Tiere lieben» trug, und einen Briefbeschwerer in Form einer gläsernen Halbkugel, in die Vergißmeinnichtblüten eingegossen waren. Isabelle und Jon schrieben sich regelmäßig und berichteten einander aus ihrem Leben. Jon ging mittlerweile auf die Oberschule in Albershude, es machte ihm Spaß zu lernen. Er litt unter dem Druck seines Vaters und darunter, daß seine Mutter alles so tatenlos mit ansah.
Nach wie vor, so schrieb Jon in seinem Weihnachtsbrief, ging er zum Seerosenteich, selbst an kalten Tagen wie diesen. Manchmal warf er Kieselsteine hinein und wünschte sich dabei etwas. Jon verriet Isabelle den einzigen, immer wiederkehrenden Wunsch: sie bald zu sehen.
Noch in der Nacht vom Heiligabend, nachdem alle Geschenke ausgepackt waren, das Essen beendet war und Ida sich gemeinsam mit Gretel auf den Weg zur Mitternachtsmesse in der St.-Michaelis-Kirche gemacht hatte, setzte sich Isabelle in ihrem Zimmer aufs Bett und schrieb ihm zurück. Von der Pracht in der Villa Trakenberg schrieb sie, von der schlichten Weihnachtsfeier im Garagenhaus, von ihrer Freundin Vivien, die manchmal so herausstellen würde, daß sie es besser habe, und von ihrem Heimweh nach Luisendorf; aber auch von den schönen und lustigen und aufregenden Dingen, die ihr in Hamburg passierten. Vor allem aber schrieb Isabelle, daß auch sie sich wünschte, ihn wiederzusehen. «Es gibt so viel, was ich dir zeigen möchte!»
Es schneite. Ununterbrochen. Die ganze Stadt war plötzlich zugedeckt mit Schnee. Es wurde kälter und kälter. Eisbrecher mußten die Fahrrinne der Elbe freilegen. Der Fluß sah danach aus wie ein Longdrink, in den der Barkeeper zuviel Eis geschüttet hatte. Allerorten gab es nur noch ein Thema: das Wetter. Die Leute sprachen von einem harten Winter. Wie immer, wenn Katastrophen über eine Region hereinbrechen, rückten die Menschen zusammen. Hamburg schien zu schrumpfen, Fremde wurden zu Freunden. Wenn das Auto nicht ansprang, wenn die Hochbahn nicht fuhr, wenn Schneeverwehungen ein
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