Der Seewolf
über sich, die wüst auf ihn einschlugen.
»Was ist denn da unten los?«, hörte ich plötzlich Latimer durch die Luke rufen. Er hütete sich, in das Chaos hinunterzusteigen.
»Kann nicht endlich jemand ein Messer auftreiben?«, flehte Leach. »Wir brauchen ein Messer!«
Es waren zu viele Männer, die Wolf Larsen fertig machen wollten. Sie kamen sich gegenseitig in die Quere und konnten deshalb ihre Kräfte nicht richtig entfalten. Wolf Larsen, der sich irgendwie zur Luke durchschlagen musste, nützte seine Chance. Trotz der Finsternis konnte ich an den Geräuschen seine Bewegungen erahnen.
Eben hatte er die Treppe erreicht und zog sich Stück für Stück aus der Umklammerung der Männer heraus. Keinem normalen Menschen wäre das gelungen, doch dieser Mann besaß Bärenkräfte. Mit Händen und Füßen arbeitete er sich Stufe um Stufe empor.
Inzwischen hatte Latimer eine Laterne geholt und hielt sie in die Luke. Wolf Larsen war fast oben, aber ich konnte nur den Klumpen aus Männerleibern sehen, der an ihm hing. Und noch immer, wenn auch sehr langsam, bewegte sich dieser Klumpen aufwärts. »Wer ist das?«, fragte Latimer. Im Schein der Laterne konnte ich sein ratloses Gesicht erkennen.
»Larsen«, klang es dumpf aus dem Menschenbündel hervor.
Latimer reichte seine freie Hand herunter und ich sah eine andere Hand emporschnellen und danach packen. Jetzt zog Latimer, und die nächsten paar Stufen waren im Nu geschafft. Wolf Larsens zweite Hand langte hinauf und umklammerte den Rand der Luke. Er trat nach den Männern, die ihn festhalten wollten. Sie fielen hinab wie reife Früchte.
Leach war der Letzte, der herabstürzte. Er fiel kopfüber auf seine am Boden krabbelnden Kameraden. Wolf Larsen und die Laterne verschwanden. Wir blieben in der Dunkelheit zurück.
Die Männer am Fuß der Leiter stöhnten und fluchten, als sie versuchten wieder auf die Füße zu kommen.
»Kann nicht mal jemand ein Streichholz anzünden? Mein Daumen ist ausgerenkt«, rief Parsons. Er war Steuermann in Standishs Boot, in dem Harrison am Ruder saß.
Nach einigen vergeblichen Versuchen flammte endlich die Lampe auf und tauchte den Raum in ein trübes, verräuchertes Licht. Männer tappten barfuß umher und begutachteten ihre Verletzungen. Oofty-Oofty packte Parsons Daumen, zog kräftig daran und ließ ihn zurück ins Gelenk schnappen. Dabei sah ich, dass die Fingerknöchel des Südseeinsulaners bis auf die Knochen aufgeschlitzt waren. Diese Wunden habe ihm Wolf Larsen zugefügt, sagte Oofty-Oofty, als er ihm eins übers Maul gegeben hatte. Er grinste und entblößte seine prachtvollen weißen Zähne.
»Dann warst du das also, du schwarzer Halunke«, rief Kelly, ein gebürtiger Ire und Ruderer in Kerfoots Boot. Dabei spuckte er Blut und Zähne aus und ging drohend auf Oofty-Oofty zu. Der Südseeinsulaner sprang zu seiner Koje und griff nach einem langen Messer.
»Hört auf, ihr Idioten, es reicht!«, ging Leach dazwischen. Offensichtlich war er trotz seiner Jugend und Unerfahrenheit der Boss in der Back. »Lass Oofty in Ruhe, Kelly. Wie zum Teufel sollte er wissen, dass du das warst in der Dunkelheit?«
»Wie konnte er uns bloß entwischen?«, fragte Johnson. Er hockte auf seiner Koje und wirkte niedergeschlagen und hoffnungslos. Er atmete noch immer schwer. Sein Hemd hing in Fetzen an ihm und aus einer klaffenden Wunde an der Wange floss Blut bis hinunter über seine nackte Brust.
»Weil er der Teufel in Person ist«, meinte Leach, »das habe ich doch schon immer gesagt.« In seinen Augen standen Tränen der Enttäuschung. »Und keiner von euch hat mir ein Messer besorgt!« Doch seine Kameraden hatten inzwischen andere Sorgen.
»Woher will Wolf Larsen wissen, wer was gemacht hat?«, fragte Kelly. »Es sei denn, einer von uns kann sein Maul nicht halten!«
»Er wird es wissen, sobald er uns ansieht«, meinte Parsons. »Ein einziger Blick genügt.«
»Erzählt ihm doch, das Deck sei plötzlich hochgeklappt und hat euch die Zähne ausgeschlagen«, ulkte Louis. Er hatte sich nicht an der Schlägerei beteiligt und war glücklich über sein unversehrtes Aussehen.
»Wir könnten sagen, dass wir ihn für den Steuermann gehalten haben«, schlug jemand vor.
Ein anderer meinte: »Ich behaupte einfach, dass ich von dem Radau aufgewacht bin. Und als ich aus meiner Koje sprang, hat mir jemand einen Kinnhaken verpasst. Da habe ich mich natürlich gewehrt. Schließlich war es stockdunkel.«
Leach und Johnson beteiligten sich nicht am
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