Der Seewolf
Johnson machen. Aber Sie haben Angst, Sie wollen am Leben bleiben. Deshalb gehen Sie Kompromisse ein und verraten Ihre Träume. Pfui, da stehe ich doch besser da! Ich folge meiner inneren Stimme und bin meinen Überzeugungen treu.«
Seine Worte gaben mir zu denken. Vielleicht war ich wirklich feige. Je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, was ich zu tun hatte: Gemeinsam mit Leach und Johnson musste ich seinen Tod herbeiführen. Es würde eine ausgesprochen edle Tat sein, die Welt von einem solchen Ungeheuer zu befreien.
Nachdem ich mehrere schlaflose Nächte in meiner Koje gegrübelt hatte, sprach ich mit Leach und Johnson. Das Gespräch fand während der Nachtwache statt, als Larsen unten war, doch die beiden Matrosen hatten jede Hoffnung begraben.
Leach drückte meine Hand. »Sie sind in Ordnung, Mr van Weyden. Aber Johnson und ich, wir sind so gut wie tot. Trotzdem können Sie uns vielleicht einen Gefallen tun, wenn wir es verdammt nötig haben werden.«
Am nächsten Tag kam die Insel Wainwright in Sicht. Wolf Larsen hatte Johnson angegriffen, war von Leach angefallen worden und hatte gerade beide verprügelt.
»Leach«, prophezeite er, »du weißt, dass ich dich früher oder später töten werde, nicht wahr?«
Ein wütendes Knurren war die Antwort.
»Und du, Johnson, du wirst bald des Lebens so überdrüssig sein, dass du über Bord springst, bevor ich mit dir fertig bin.« Und an mich gewandt fügte er hinzu: »Ich wette einen Monatslohn.«
Ich hegte eine vage Hoffnung, dass die beiden Opfer entkommen könnten, während die Wasserfässer gefüllt wurden. Aber Wolf Larsen hatte den Ort sorgfältig ausgewählt.
Die Ghost ankerte eine halbe Meile innerhalb der Brandung vor einem verlassenen Strand. Hinter dem Strand erhoben sich steile Felsen aus vulkanischem Gestein. Obendrein ging Wolf Larsen mit an Land und überwachte höchstpersönlich, wie Leach und Johnson die Fässer füllten und zum Strand zurückrollten. Ihnen bot sich nicht die winzigste Chance zur Flucht.
Harrison und Kelly allerdings wagten den Versuch. Die beiden hatten die Aufgabe, in einem Boot zwischen dem Schoner und dem Ufer hin und her zu rudern und dabei jeweils ein Fass zu transportieren. Kurz vor dem Mittagessen waren sie gerade wieder mit einem leeren Fass unterwegs zum Strand, als sie plötzlich den Kurs änderten. Sie wendeten sich nach links, um das Vorgebirge zu umfahren, das sich dort ins Meer hineinschob und sie von der Freiheit trennte. Dahinter lagen die hübschen Dörfer der japanischen Siedler und liebliche Täler, die weit ins Landesinnere reichten. Wenn sie es schafften, dorthin zu gelangen, konnte ihnen Wolf Larsen nichts mehr anhaben.
Mir war aufgefallen, dass Smoke und Henderson den ganzen Vormittag über auf Deck herumgelungert hatten. Nun wurde klar, warum. Sie griffen nach ihren Flinten und eröffneten ganz lässig das Feuer auf die Fliehenden. Eine kaltherzige Darbietung ihrer Schießkunst! Am Anfang ließen sie ihre Kugeln links und rechts des Bootes über das Wasser hüpfen, doch dann, als die Männer sich kräftig in die Ruder legten, schlugen sie immer näher ein.
»Pass auf, jetzt nehme ich mir Kellys rechtes Ruder vor!« Smoke zielte sorgfältig.
Durchs Fernglas sah ich, wie das Ruderblatt zersplitterte. Jetzt verfuhr Henderson mit Harrison genauso. Das Boot wirbelte herum, die beiden verbliebenen Ruder zerbrachen. Die Fliehenden versuchten, mit den Überresten weiterzurudern, doch sie wurden ihnen aus den Händen geschossen. Kelly riss eine Bodenplanke heraus und begann zu paddeln, ließ sie jedoch mit einem Schmerzensschrei fallen, weil ihm die Splitter in die Hände stachen.
Die beiden gaben auf. Sie ließen ihr Boot treiben, bis ein zweites Boot, das Wolf Larsen geschickt hatte, sie ins Schlepptau nahm und zur Ghost zurückbrachte.
Am späten Nachmittag lichteten wir den Anker und stachen in See. Vor uns lagen drei oder vier Monate Jagd in den Robbengründen. Schlimme Aussichten! Ich machte mich schweren Herzens an meine Arbeit.
Auf der Ghost herrschte jetzt eine Art Weltuntergangsstimmung. Wolf Larsen hatte sich, von einer seiner heftigen Kopfschmerzattacken geplagt, in seiner Kabine verkrochen. Harrison stand teilnahmslos am Rad. Er lehnte sich dagegen, als suche er Halt. Der Rest der Mannschaft war mürrisch und schweigsam.
Irgendwann später stieß ich auf Kelly, der in einer Ecke hockte und sein Gesicht in tiefer Verzweiflung in den Händen verbarg. Johnson lag auf seiner
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