Der Seewolf
hielt.
Ich erinnere mich an einen schönen Tag, als die Boote früh ausliefen und das Knallen der Büchsen immer ferner und schwächer erklang, bis schließlich nichts mehr davon zu hören war. Der Wind wehte schwach aus Westen um bald völlig einzuschlafen. Von der Mastspitze aus beobachtete ich, wie die Boote, eins nach dem anderen, hinter der Erdkrümmung verschwanden, während sie die Robben nach Westen verfolgten. Die Ghost dümpelte in stiller See, den kleinen Segelbooten kamen wir nicht hinterher.
Wolf Larsen machte ein besorgtes Gesicht. Das Barometer fiel und der Himmel im Osten bereitete ihm Unbehagen.
»Wenn von dort plötzlich was losbricht, werden wir von den Booten fortgetrieben. Dann könnte es leere Kojen an Bord geben!«
Um elf lag das Meer glatt wie ein Spiegel um uns herum.
Am Mittag war es so heiß, dass man es kaum aushalten konnte, obwohl wir uns weit im Norden befanden. Kein Lüftchen wehte. In Kalifornien nennt man solch eine drückende Schwüle »Erdbebenwetter«. Unheil lag in der Luft. Im Osten türmten sich schwarze Wolken übereinander, aber noch immer wehte kein Wind.
»Die alte Mutter Natur will uns die Hölle heiß machen, Hump. Wenn wir Glück haben, kommt die Hälfte unserer Boote durch. Gehen Sie rauf und machen Sie die Toppsegel klar.«
»Aber wenn es losgeht und wir sind nur zu zweit ...«
»Wir müssen die ersten Böen nützen und zusehen, dass wir die Boote erwischen, bevor die Segel in Fetzen gehen. Uns beiden steht was bevor!«
Noch war alles ruhig. Wir aßen zu Mittag. Ich aß hastig, denn ich dachte mit Sorge an das Kommende. Da draußen waren achtzehn Leute unterwegs, irgendwo hinter der Erdkrümmung, und die düsteren Wolkenberge kamen langsam, aber sicher näher.
Als wir an Deck zurückkehrten, wirkte Wolf Larsens Gesicht ernst und entschlossen. Seine klaren blauen Augen aber leuchteten, als freue er sich auf die Auseinandersetzung mit den Naturgewalten. Einer der Höhepunkte im Leben eines jeden Mannes bahnte sich an.
Dann ging er zur Kombüse. »Köchlein, du wirst bald an Deck gebraucht. Halte dich bereit!«
Der Himmel im Westen war inzwischen finster geworden und die Sonne hatte sich verzogen. Es war zwei Uhr nachmittags und ein gespenstisches Zwielicht hüllte uns ein, das von purpurnen Strahlen durchbrochen wurde und Wolf Larsens Gesicht erglühen ließ. Die Hitze war unerträglich. Schweiß perlte auf meiner Stirn, rann an meiner Nase herunter. Plötzlich kam von Osten her ein kaum wahrnehmbarer Luftzug auf.
»Köchlein!«, rief Wolf Larsen und Thomas Mugridge erschien mit verstörtem Gesicht. »Halte die Focktalje quer, und wenn die Schot sich strafft, kommst du mit der Talje her. Wenn du etwas vermasselst, hat dein letztes Stündchen geschlagen, verstanden? - Sie, Mr van Weyden, Sie müssen gleich die Vorsegel übergehen lassen. Dann springen Sie rauf und setzen die Toppsegel, so rasch Sie nur können! Wenn Köchlein nichts taugt, geben Sie ihm eins auf die Nuss!«
Ich freute mich darüber, wie er mit mir sprach, ohne dabei Drohungen gegen mich zu benützen. Wir lagen hart am Wind Richtung Nordwest und er wollte beim Aufkommen des Winds abfallen und dann halsen, um in Richtung Süden zu segeln.
»Die letzten Schüsse klangen aus südlicher Richtung«, sagte er und ging zum Rad. Ich nahm meinen Platz am Klüver ein. Ein schwacher Windhauch, dann noch einer. Die Leinwand bewegte sich kaum.
»Gott sei Dank, es kommt nicht auf einmal, Mr van Weyden«, rief der Koch und seufzte abgrundtief.
Auch ich war erleichtert, denn inzwischen wusste ich, was passieren konnte, wenn alle Segel gesetzt waren. Jetzt kamen Böen auf, die Segel blähten sich, die Ghost nahm Fahrt auf. Wolf Larsen packte das Steuerrad und drehte es hart nach Backbord. Wir begannen abzufallen.
Inzwischen räumte der Wind und blähte meine Vorsegel. Ich sah nicht, was sonst passierte, sodass ich plötzlich einen Stoß und ein Krängen des Schoners spürte, als der Winddruck sich änderte und das Vor- und Hauptsegel traf. Ich hatte alle Hände voll zu tun mit Außenklüver, Klüver und Stagsegel. Als ich diesen Teil meiner Aufgabe erledigt hatte, richtete sich die Ghost nach Südwesten aus, mit halbem Wind und allen Segeln auf Steuerbord. Ohne mir eine Pause zu gönnen, obwohl mein Herz von den Anstrengungen heftig schlug, kletterte ich zu den Toppsegeln hinauf und hatte sie gesetzt, bevor der Wind zu stark wurde.
Wolf Larsen nickte anerkennend, dann überließ er mir das Rad. Der Wind
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