Der Seewolf
Koje, starrte apathisch an die Decke und reagierte nicht, als ich ihn ansprach. Mir fiel Wolf Larsens Vorhersage ein und kaltes Entsetzen packte mich. Da kam Leach auf mich zu.
»Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten, Mr van Weyden. Falls Sie jemals das Glück haben, zurück nach Frisco zu gelangen, würden Sie dann bei Matt McCarthy vorbeischauen? Das ist mein alter Herr. Er wohnt auf dem Hügel, gleich hinter der ›Mayfair-Bäckerei‹, und betreibt eine Schusterwerkstatt, die jeder kennt. Sagen Sie ihm, dass es mir Leid tut, ihm so viele Sorgen gemacht zu haben. Und sagen Sie ihm an meiner Stelle, Gott möge ihn behüten.«
Ich nickte, erwiderte aber: »Wir werden alle gemeinsam San Francisco Wiedersehen, Leach, und dann besuchen wir beide zusammen Matt McCarthy.«
Er schüttelte meine Hand. »Wie gern würde ich Ihnen glauben, aber ich kann es nicht. Wolf Larsen wird mich erledigen, das weiß ich. Ich kann nur hoffen, dass es schnell geht.«
Die allgemeine Schwermut belastete auch mich. Das drohende Unheil schien unausweichlich. Allmählich begann ich mir ähnliche Fragen zu stellen, wie Wolf Larsen sie sich stellte. Wozu war dies alles gut? Worin bestand der Sinn des Lebens, wenn es solche grauenvollen Taten an Menschen zuließ, die ihre Seelen zerstörten? Ich lehnte an der Reling und sah über das Meer. Wahrscheinlich würde ich früher oder später in dieser grünen Unendlichkeit versinken. Es mag merkwürdig klingen, aber trotz der düsteren Vorzeichen ereignete sich nichts Besonderes auf der Ghost. Wir fuhren in nördlicher oder westlicher Richtung, bis wir die japanische Küste erreicht hatten und dort auf die großen Robbenherden trafen. Kein Mensch weiß, woher diese Tiere kommen, die alljährlich durch den unendlichen Ozean gen Norden zu den Paarungsplätzen des Beringmeers ziehen. Wir zogen mit ihnen und metzelten sie nieder. Ihre nackten Kadaver warfen wir den Haien zum Fraß vor, die Häute rieben wir mit Salz ein, damit sie später einmal die hübschen Schultern der Großstädterinnen schmücken würden.
Es war Massenmord, der zu nichts anderem diente als die Eitelkeit von Frauen zu befriedigen. Kein Mensch aß etwas von dem Fleisch oder verwendete den Tran. An erfolgreichen Tagen lagen die Decks voll mit Häuten und Körpern, waren rutschig von Fett und Blut. Überhaupt war alles mit Blut besudelt und die Männer sahen aus wie Metzger. Mit nackten roten Armen und Händen schwangen sie ihre Messer, um den wundervollen Kreaturen des Meeres ihre Felle zu rauben.
Meine Aufgabe war es, die Felle zu zählen, wenn die Boote zurückkamen. Ich musste das Häuten überwachen sowie die abschließende Reinigung des Schiffs. Keine angenehme Aufgabe. Mein Magen und auch meine Seele rebellierten. Dennoch tat es mir gut, so viele Männer anzuleiten und zu beaufsichtigen. Meine Handlungsfähigkeit wuchs, ich wurde robuster und härter.
Nach dieser Reise würde ich nicht mehr derselbe sein wie früher. Während mein Glaube an die Menschlichkeit ungebrochen blieb, hatte mich Wolf Larsen doch in weniger bedeutenden Dingen beeinflusst. Er hatte meinen Sinn für die Realität geweckt und mich auf den Boden der Tatsachen gestellt.
Seitdem wir die Jagdgründe erreicht hatten, waren der Kapitän und ich noch häufiger zusammen. Wenn schönes Wetter herrschte und wir uns mitten in einer Herde befanden, wurden alle Männer in den Booten gebraucht und nur wir beide blieben an Bord - und Thomas Mugridge, aber der zählte nicht.
Die sechs Boote, die sich wie ein Fächer von dem Schoner entfernten, bis die beiden äußeren meilenweit voneinander getrennt waren, kehrten erst bei Einbruch der Dunkelheit zurück.
Es war kein Kinderspiel für zwei Männer, ein Schiff wie die Ghost zu beherrschen, vor allem bei steifem Wind. Wir mussten steuern, die Boote im Auge behalten und die Segel setzen und einholen. Mir blieb nichts anderes übrig als das zu lernen, und zwar schnell!
Mit dem Steuern fand ich mich rasch zurecht, aber die Kletterei in der Takelage bereitete mir anfangs Probleme. Doch ich wollte dem Kapitän unbedingt beweisen, dass ich nicht nur bei geistigen, sondern auch bei praktischen Anforderungen meinen Mann stehen konnte. So geschah es, dass ich bald nicht nur flink und behände durch die Takelage kletterte, sondern dabei sogar Freude empfand. Es war herrlich, die Schwingungen der Mastspitze zu fühlen, während ich mich mit den Füßen festklammerte und durchs Fernglas nach unseren Booten Ausschau
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