Der Seewolf
Befehle und unter seinem Kommando nahmen wir unsere wilde Fahrt durch die tosende See wieder auf. Nach einer halben Stunde sichtete ich das zweite Boot. Es trieb kieloben, während sich Horner, Louis und Johnson daran festklammerten. Diesmal konnten wir ohne ernste Probleme beidrehen und bald darauf kletterten die Männer an Bord. Das Boot allerdings zerbarst an der Schiffswand. Wir nahmen es trotzdem mit, um es später zu reparieren.
Wir fuhren weiter. Da tauchte die Ghost so tief ins Meer, dass ich fürchtete, wir würden niemals wieder ans Licht kommen. Sogar das Steuerrad verschwand in den Wellen. Doch Wolf Larsen hielt es fest und zwang das Schiff auf den Kurs, den er wollte.
Kurz bevor das letzte Tageslicht erlosch, bemerkte ich das dritte Boot. Es trieb kieloben. Von Henderson, Holoyak und Williams, seiner Besatzung, war nichts zu sehen. Der erste Versuch, das Boot an Bord zu hieven, misslang. Doch Wolf Larsen gab nicht auf, obwohl Horner und Kerfoot gegen einen zweiten Versuch protestierten. Ihnen blieb nichts anderes übrig als zu gehorchen.
Wie gefährlich das Unternehmen war, merkte ich erst, als ich unter Wassermassen begraben über Bord geschwemmt wurde. Mein Leben verdanke ich Johnson, der mir in dem Moment, als ich zurückgeschwemmt wurde, seine Hand entgegenstreckte und mich an Bord zog. Wir vermissten Kelly.
Wolf Larsen hatte das Boot verfehlt, doch er gab noch immer nicht auf. Obwohl inzwischen völlige Dunkelheit herrschte, zogen wir es schließlich an Bord.
Danach folgten zwei Stunden harter Arbeit. Wir machten die Ghost wieder klar, so gut es ging. Die Kombüse existierte nicht mehr. Wo sie gestanden hatte, war klar Deck.
Später am Abend saßen alle Männer, auch die Matrosen, in der Kajüte zusammen. Wir stärkten uns mit Kaffee, Whiskey und Zwiebäcken. Noch immer herrschte so hoher Seegang, dass wir oft gegen die Wand geschleudert wurden und sogar die Matrosen sich beim Laufen festhalten mussten.
»Heute pfeifen wir auf den Ausguck!«, rief Wolf Larsen, als alle satt und todmüde waren. »Bei dem Seegang können wir sowieso keinem ausweichen. Also alle Mann in die Kojen!«
»Das war es nicht wert«, sagte ich zu ihm, »ein beschädigtes Boot für Kellys Leben!«
»Kelly war nicht viel wert«, war seine Antwort, »gute Nacht.«
Am nächsten Tag, während der Sturm sich austobte, übten Wolf Larsen und ich uns in Anatomie und Chirurgie, während wir Thomas Mugridges Rippen wieder zusammensetzten, die er sich während des Unwetters verletzt hatte. Dann kreuzten wir auf dem Ozean umher auf der Suche nach unseren restlichen Booten. Derweil wurden an Bord die beschädigten Boote repariert und neue Segel hergestellt.
Wir sichteten einen Robbenschoner nach dem anderen. Die meisten befanden sich wie wir auf der Suche und hatten Boote und Mannschaften an Bord, die sie irgendwo aufgelesen hatten, die aber nicht zu ihnen gehörten.
Zwei von unseren Booten konnten wir, zusammen mit der kompletten, wohlbehaltenen Mannschaft, von der Cisco übernehmen. Außerdem sammelten wir, zu Wolf Larsens großer Freude und meinem Kummer, Smoke, Nilson und Leach von der San Diego auf. Wir hatten vier Männer verloren: Henderson, Holoyak, Williams und Kelly.
Nach fünf aufregenden Tagen widmeten wir uns wieder der Jagd. Als wir die Herden nach Norden verfolgten, gerieten wir in den berüchtigten Seenebel. Jetzt wurden unsere Boote unsichtbar, sobald sie zu Wasser gelassen waren. Auf der Ghost bliesen wir deshalb in regelmäßigen Abständen ins Horn und feuerten alle fünfzehn Minuten Signalschüsse ab.
Immer wieder gingen jetzt Boote verloren und wurden wieder gefunden. Die Männer jagten mit dem erstbesten Schoner, der sie aufnahm, bis sie ihrem eigenen Schiff begegneten. Weil Wolf Larsen ein Boot fehlte, kaperte er das erste fremde, das uns in die Quere kam, und zwang die Mannschaft an Bord zu bleiben. Als der Schoner sich näherte, dem diese Männer angehörten, trieb er sie mit vorgehaltenem Gewehr nach unten.
Thomas Mugridge humpelte bald wieder durch die Gegend und nahm seine Pflichten als Koch und Kajütenjunge wahr. Johnson und Leach wurden gepiesackt und gequält wie üblich und sahen ihrem sicheren Tod am Ende der Jagd entgegen. Der Rest der Mannschaft führte ein Hundeleben und wie Hunde wurden sie von ihrem erbarmungslosen Herrn behandelt.
Wolf Larsen und ich kamen recht gut miteinander aus. Dennoch wurde ich den Gedanken nicht los, dass es meine Pflicht sei, ihn zu töten. Einerseits
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