Der Seewolf
faszinierte mich dieser Mann, andererseits fürchtete ich ihn. Die Kraft und Jugendlichkeit, die ihn umgaben, machten seinen Tod in meiner Vorstellung unmöglich.
Er liebte es, gegen fast unüberwindbare Hindernisse zu kämpfen. Wenn alle anderen Boote an Bord blieben, weil die See rau und die Jagd ein zu großes Wagnis war, ließ er sich selbst gern mit zwei Ruderern und einem Steuermann hinab, um Robben zu schießen. Als ausgezeichneter Schütze erlegte er eine Menge Tiere.
Ich lernte indessen mehr und mehr über die Seefahrerei und eines selten klaren Tages durfte ich die Ghost übernehmen und die Boote in eigener Verantwortung einholen. Da Wolf Larsen wieder einmal von Kopfschmerzen geplagt wurde, stand ich vom Morgen bis zum Abend am Steuer, segelte über den Ozean hinter unseren Booten her und hievte sie schließlich alle heil und sicher wieder an Bord - ohne irgendeinen Ratschlag oder Befehl des Kapitäns.
Von Zeit zu Zeit gerieten wir in eine steife Brise, denn wir befanden uns in einer rauen und stürmischen Gegend. Mitte Juni erlebten wir einen Taifun. Dieses Abenteuer werde ich nie vergessen, denn es wirkte sich auf meine ganze Zukunft aus. So ungeheure Wogen hätte ich niemals für möglich gehalten! Sie waren mit Sicherheit höher als unser Masttopp. Sogar Wolf Larsen riskierte es nicht, beizudrehen, obwohl wir von unseren Jagdgründen Richtung Süden fortgetrieben wurden.
Als der Taifun endlich nachließ, befanden wir uns zur allgemeinen Verwunderung mitten in einer Robbenherde, die anscheinend als Nachhut unterwegs war. So knallten einen ganzen Tag lang die Büchsen und das Schlachten nahm seinen Lauf.
Es war schon dunkel, als ich die Beute des letzten Bootes zählte und Leach zu mir trat. »Können Sie mir sagen, Mr van Weyden, wie weit wir von der Küste entfernt sind und in welcher Richtung Yokohama liegt?«
Mein Herz vollführte einen Freudensprung, wusste ich doch, was er plante.
»Fünfhundert Meilen West-Nord-West.«
»Danke, Sir!« Mehr sagte er nicht, als er in der Dunkelheit untertauchte.
Am nächsten Morgen fehlte das Boot Nummer drei mit Johnson und Leach. Außerdem fehlten sämtliche Wasserfässer und Proviantkisten der übrigen Boote sowie das Bettzeug und die Seesäcke der beiden Männer.
Wolf Larsen tobte. Er ließ Segel setzen und fuhr nach West-Nord-West, während ständig zwei Jäger Ausschau hielten und das Meer durchs Fernglas abgrasten. Er selbst schritt auf Deck hin und her wie ein wütender Löwe. Mich hatte er nicht nach oben geholt, weil er meine Sympathie für die Ausreißer kannte.
Ein winziges Boot in der blauen Unendlichkeit aufzufinden schien genauso aussichtslos wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Doch Wolf Larsen holte alles aus der Ghost heraus, um die Flüchtlinge vom Land abzuschneiden. Dann kreuzte er dort hin und her, wo seiner Meinung nach ihr Kurs liegen müsste.
Am Morgen des dritten Tages, kurz nach acht, brüllte Smoke vom Ausguck herunter, dass er das Boot in Sicht habe. Alle versammelten sich an der Reling. Eine starke Brise wehte von Westen, die noch mehr Wind ankündigte. Und dort in Lee, im Silberschein der aufgehenden Sonne, schaukelte ein schwarzer Fleck. Wir nahmen direkten Kurs auf den Fleck.
Mein Herz war schwer wie Blei. Als ich den Triumph in Wolf Larsens Augen wahrnahm, hätte ich mich am liebsten auf ihn gestürzt. Ich lief hinunter zum Zwischendeck und eilte gerade wieder mit einem geladenen Gewehr in der Hand die Treppe hinauf, als ein Schrei ertönte: »Da sind fünf Mann im Boot!«
Erleichtert schaffte ich das Gewehr fort und begab mich erneut an Deck. Niemand hatte etwas davon bemerkt.
Wir hatten uns inzwischen dem Boot genähert. Es war größer als ein Robbenboot und auch anders gebaut. Jetzt wurde das Segel eingeholt und der Mast umgelegt. Allem Anschein nach erwarteten die Männer, dass wir sie an Bord holen würden.
Smoke neben mir fing an zu kichern. »Na, das ist ja eine schöne Bescherung!«
»Was ist?«, fragte ich.
Kichernd zeigte er auf das Boot. »Sehen Sie nicht, was ich sehe? Ich will keine einzige Robbe mehr schießen, wenn das dort keine Frau ist!«
Jetzt waren ringsum überraschte Stimmen zu hören. Im Boot befanden sich vier Männer, doch bei dem fünften Insassen handelte es sich ohne Zweifel um eine Frau. Wir waren völlig aus dem Häuschen vor Aufregung, nur Wolf Larsen nicht. Er hätte lieber die Opfer seiner Gemeinheiten im Boot vorgefunden.
Als das Boot längsseits lag, konnte ich die Frau
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