Der Seewolf
Matrosen oder Ruderer aus ihnen machen. Was ist mit der Dame?«
Als er sie erwähnte, spürte ich einen seltsam stechenden Schmerz. Ich zuckte bloß mit den Schultern.
Wolf Larsen spitzte die Lippen zu einem höhnischen Pfeifen.
»Wie heißt sie denn?«, fragte er.
»Ich weiß nicht. Sie schläft. Sie war sehr erschöpft. Aber welche Neuigkeiten haben denn Sie? Von was für einem Schiff kommen die Leute?«
»Ein Postdampfer«, antwortete er knapp. »Die City of Tokio, unterwegs von Frisco nach Yokohama. Der Taifun hat sie manövrierunfähig gemacht. Ein alter Kasten, löchrig wie ein Sieb. Vier Tage lang sind sie umhergetrieben. - Und Sie wissen wirklich nicht, wer oder was sie ist? Mädchen, Ehefrau oder Witwe? Na, na!« Er lachte.
»Werden Sie ...«, fing ich an. Eigentlich wollte ich wissen, ob er die Schiffbrüchigen nach Yokohama bringen würde.
»Werde ich was?«, fragte er.
»Was haben Sie mit Leach und Johnson vor?«
»Keine Ahnung, Hump«, neckte er mich. »Durch unsere Neuzugänge haben wir die Mannschaft komplett.«
»Die beiden haben vermutlich die Nase voll vom Fliehen«, meinte ich. »Warum nehmen Sie sie nicht an Bord und behandeln sie anständig? Was immer sie getan haben, sie sind dazu getrieben worden.«
»Von mir?«
»Von Ihnen! Und ich warne Sie, Wolf Larsen, ich könnte meine Liebe zum Leben vergessen und Sie töten, falls Sie diese beiden armen Kerle zu sehr drangsalieren.«
»Bravo!«, rief er. »Sie erfüllen mich mit Stolz, Hump! Endlich haben Sie Ihren eigenen Standpunkt gefunden. So gefallen Sie mir.« Sein Tonfall und sein Gesichtsausdruck änderten sich. »Glauben Sie an Versprechen?«, fragte er ernst.
»Natürlich.«
»Dann schließen wir einen Vertrag. Wenn ich verspreche, keine Hand an Leach und Johnson zu legen, versprechen Sie dafür, keinen Mordversuch an mir zu verüben?«
Ich traute kaum meinen Ohren. Was war jetzt in ihn gefahren?
»Abgemacht?«, fragte er ungeduldig.
»Abgemacht.«
Während wir uns die Hände schüttelten, blitzte es spöttisch in seinen Augen. Wir schlenderten nach Lee. Das Boot war jetzt zum Greifen nah und in miserablem Zustand. Johnson steuerte, Leach schöpfte Wasser.
Wolf Larsen gab Leach ein Zeichen, dann schossen wir dicht an dem Boot vorüber. Es bäumte sich auf und die beiden Männer wechselten schleunigst die Plätze. Sie verloren Geschwindigkeit, und während wir auf einer Woge empor stiegen, stürzten sie in die Tiefe.
Leach und Johnson blickten hinauf in die Gesichter ihrer Kameraden, die an der Reling lehnten. Kein ermutigender Blick, kein Kopfnicken grüßte sie, denn die beiden Männer im Boot galten bereits als tot.
Im nächsten Moment fanden sie sich dem Heck gegenüber, wo Wolf Larsen und ich standen. Wir sanken in ein Wellental, sie erhoben sich auf einem Berg aus Wasser. Johnson sah mich an, sein Gesicht war verhärmt und todmüde. Da winkte ich ihm zu und auch er hob die Hand, aber sein Gruß wirkte verzweifelt und ohne jede Hoffnung - wie ein Abschied. Leachs Blick konnte ich nicht einfangen, denn er starrte Wolf Larsen an und seine Augen waren voller Hass.
Sie gerieten achteraus. Ihr Sprietsegel blähte sich plötzlich, das Boot krängte und es schien, als werde es kentern. Eine Welle wälzte sich darüber hinweg und brach sich in schneeweißem Schaum. Dann richtete sich das Boot erneut auf, halb voll Wasser. Leach schöpfte es hinaus, während Johnson sich an die Ruderpinne klammerte, das Gesicht weiß vor Entsetzen.
Wolf Larsen brach in Gelächter aus und schritt zum Achteraufbau. Ich hoffte, er würde den Befehl zum Beidrehen erteilen, doch die Ghost hielt ihren Kurs und er gab kein Zeichen.
Louis stand regungslos am Rad, aber die Matrosen sahen bestürzt zu uns herüber. Noch immer schoss die Ghost durch die Wellen, bis das Boot nur noch ein kleiner Fleck war. Da befahl Wolf Larsen über Steuerbord zu halsen. Wir fuhren zurück, der Außenklüver wurde geborgen, wir drehten bei.
Robbenboote sind nicht dafür geeignet, gegen den Wind zu gehen. Sie müssen sich in Luv halten, damit sie vor dem Wind laufen können, wenn der Schoner beidreht. Doch für Leach und Johnson war die Ghost die einzige Rettung, deshalb kämpften sie in wilder Verzweiflung gegen den Wind. Jeden Augenblick konnten sie von der schweren See begraben werden. Immer wieder krängte das Boot in den hohen, schaumgekrönten Wellen, immer wieder wurde es wie ein Kork zurückgeschleudert.
Johnson war ein glänzender Seemann, der sich mit
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