Der Seewolf
Kajüte war erfüllt vom Klang seiner Stimme. Wie er dort stand, herrisch und den Kopf hoch erhoben, leuchtete sein gebräuntes Gesicht, seine Augen blitzten golden und männlich. Er sah Maud eindringlich, ja bezwingend an.
Wieder trat das namenlose Entsetzen in ihre Augen. »Sie sind Luzifer!«, hauchte sie. Kurz darauf fiel die Tür hinter ihr zu.
»Ich werde Louis am Rad ablösen«, sagte er knapp, »und Sie übernehmen um Mitternacht. Sehen Sie jetzt zu, dass Sie ein wenig Schlaf bekommen.«
Er zog ein Paar Fausthandschuhe über und nahm seine Mütze. Dann stieg er die Treppe hinauf. Ich folgte seinem Rat und ging zu Bett.
Aus irgendeinem rätselhaften Grund entkleidete ich mich nicht, sondern legte mich vollständig angezogen nieder. Ich wunderte mich über die Liebe, die so plötzlich in mein Leben getreten war, und lauschte dem Lärm im Zwischendeck. Inzwischen hatte ich aber einen so gesunden Schlaf, dass das Gegröle in meinem Bewusstsein immer schwächer wurde und ich einnickte.
Ich wusste nicht, was mich geweckt hatte. Plötzlich stand ich hellwach vor meiner Koje und spürte mit jeder Faser meines Körpers die drohende Gefahr. Ich riss die Tür auf. Das Licht in der Kajüte war fast heruntergebrannt. Und da war Maud, meine Maud, die sich verzweifelt gegen die Umarmung Wolf Larsens wehrte. Sie mühte sich mit aller Kraft und stemmte die Fäuste gegen seine Brust.
Ich stürzte mich auf ihn, schlug ihm die Faust ins Gesicht, aber der Schlag war zu schwach. Er brüllte wie ein wildes Tier und stieß mich mit der Hand weg. Es war nur ein Stoß mit einer Hand, aber seine Kraft war so gewaltig, dass ich wie von einem Katapult nach hinten geschleudert wurde. Ich krachte gegen die Kabinentür und das Holz zersplitterte unter der Wucht meines Körpers. Ohne einen Schmerz wahrzunehmen, kam ich sofort wieder auf die Füße und befreite mich von den Trümmern der Tür. Außer mir vor Wut zog ich das Messer aus meinem Gürtel und stürzte mich zum zweiten Mal auf Wolf Larsen.
Doch inzwischen war irgendetwas passiert, denn beide taumelten auseinander. Ich hatte meinen Arm schon erhoben um zuzustechen, jetzt ließ ich ihn wieder sinken. Maud lehnte sich gegen die Wand, stützte sich mit den Händen ab. Wolf Larsen schwankte, presste seine linke Hand gegen die Stirn und bedeckte seine Augen, während die andere irgendwo Halt suchte. Als er die Wand berührte, entspannte sich sein Körper, er stand wieder fest auf beiden Beinen.
Da sah ich Rot. All das Unrecht, all die Erniedrigungen, die dieser Mann mir selbst oder anderen angetan hatte, stürmten auf mich ein und erfüllten mich mit unendlicher Wut und Energie. Blindwütig stürzte ich mich auf ihn und stieß ihm das Messer in die Schulter. Ich spürte sofort, dass ich ihm kaum mehr als eine Fleischwunde beigebracht hatte, und erhob mein Messer, um es dieses Mal wirkungsvoller einzusetzen.
Aber Maud rief: »Nicht! Bitte nicht!«
Für einen Moment ließ ich das Messer sinken, aber nur für einen Moment. Dann holte ich erneut aus. Diesmal hätte Wolf Larsen mit Sicherheit dran glauben müssen, wäre Maud nicht dazwischen getreten. Sie warf ihre Arme um mich, ihr Haar wehte in mein Gesicht. Sie sah mir mutig in die Augen.
»Mir zuliebe«, flehte sie.
»Ihnen zuliebe will ich ihn töten!«
Ich versuchte mich zu befreien, ohne ihr wehzutun.
»Pst!«, sagte sie und legte ihre Finger leicht auf meine Lippen. Gern hätte ich sie geküsst, wenn ich es gewagt hätte. Diese Berührung war so zart, so unendlich zart.
»Bitte, bitte!«, bat sie und diese Worte entwaffneten mich, wie sie es zukünftig immer wieder tun sollten.
Ich trat zurück, trennte mich von ihr und steckte das Messer weg. Noch immer presste Wolf Larsen die Hand gegen seine Stirn, sodass sie die Augen bedeckte. Er hatte den Kopf gebeugt, schien wie gelähmt. Sein Körper knickte in den Hüften ab, seine breiten Schultern sackten nach vorn.
»Van Weyden!«, rief er heiser und etwas ängstlich, »van Weyden, wo stecken Sie?«
Ich sah Maud an, sie nickte wortlos.
»Ich bin hier«, sagte ich und ging zu ihm. »Was ist?«
»Helfen Sie mir auf einen Stuhl«, sagte er mit derselben heiseren, furchtsamen Stimme. »Ich bin ein kranker Mann, Hump, ein sehr kranker Mann.«
Aus meinen stützenden Armen sank er auf einen Stuhl. Sein Kopf fiel nach vorn auf die Tischplatte und er bedeckte ihn mit seinen Händen. Von Zeit zu Zeit ruckte er nach vorn und zurück, als werde er von heftigen Schmerzen geplagt.
Weitere Kostenlose Bücher