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Der Seewolf

Der Seewolf

Titel: Der Seewolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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Eiszapfen an die Nase bekämen.« Ich lachte.
    »Das würde es wohl, nämlich wenn ich lerne, wie man steuert. Und genau das werde ich tun!«
    Sie setzte sich auf und begann sich ein bisschen herzurichten, soweit das unter diesen Umständen möglich war. Sie schüttelte ihr Haar, sodass es in einer braunen Wolke herabfiel und ihr Gesicht und die Schultern bedeckte. Ihr wundervolles braunes Haar! Am liebsten hätte ich es geküsst, es mit meinen Fingern berührt, mein Gesicht hineingewühlt. Ich verschlang sie mit meinen Blicken, bis das Boot in den Wind geriet und das killende Segel mich an meine Pflichten erinnerte. Doch während ich Mauds herrliches Haar bestaunte, erfuhr ich mehr über die Liebe, als sämtliche Dichter und Sänger der Welt mir jemals hätten beibringen können. Jetzt warf sie es mit einer raschen, graziösen Bewegung nach hinten, ihr Gesicht tauchte auf und lächelte mich an.
    »Warum tragen Frauen ihr Haar nicht immer offen?«, fragte ich. »Das ist viel schöner.«
    »Dann würde es sich schrecklich verheddern«, sagte sie. »O- je, jetzt ist mir eine meiner kostbaren Haarnadeln heruntergefallen!«
    Schon wieder lief unser Boot in den Wind, weil ich es nicht lassen konnte, Maud zuzuschauen, wie sie ihre Nadel in dem Deckenberg suchte. Ihre Weiblichkeit faszinierte mich, ließ mein Herz höher schlagen. Bisher hatte ich sie bewundert, ja angebetet, so wie man eine Göttin verehrt. Jetzt aber, auf engem Raum beieinander, erlebte ich sie als ein menschliches Wesen, spürte ihre Lebendigkeit und ihre Wärme. Sie war meinesgleichen und die Liebe, die ich verspürte, war die Liebe eines Mannes zu einer Frau.
    Nachdem sie ihre Nadel gefunden hatte, konzentrierte ich mich wieder auf meine Aufgabe. Ich probierte eine Weile herum, bis es mir gelang, das Ruder so zu befestigen, dass das Boot von sich aus den Kurs beibehielt.
    »Jetzt wollen wir frühstücken«, sagte ich. »Vorher müssen Sie sich aber etwas wärmer anziehen.«
    Ich wählte ein Hemd für sie aus, das aus demselben Material hergestellt war wie die Decken. Es würde Regen und Wind von ihr abhalten. Als sie es über den Kopf gezogen hatte, tauschte ich ihre Jungenkappe gegen eine Männermütze, die ihr bis über die Ohren reichte und den Nacken und ihr Haar bedeckte. Sie sah bezaubernd aus. Ihr feines, zartes Gesicht mit den riesigen braunen Augen konnte gar nicht anders als bezaubernd aussehen!
    Plötzlich erhielt das Boot einen Stoß. Wir wurden gerade über den Kamm einer Woge getragen, da tauchte die Reling ins Wasser und gut ein Eimer voll schwappte zu uns herein. Ich ließ die Dose, die ich öffnen wollte, fallen, sprang an die Schot und warf sie eben noch rechtzeitig los. Das Segel schlug und flatterte und das Boot richtete sich wieder auf. Einige Minuten später hatte ich es wieder auf Kurs gebracht und kümmerte mich erneut um das Frühstück. Maud nickte anerkennend. »Es läuft doch recht gut, wenn ich auch keine große Ahnung von der Seefahrt besitze.«
    »Aber es funktioniert nur, solange wir mit dem Wind segeln«, erklärte ich. »Anderenfalls muss ich steuern.«
    »Sie können nicht ununterbrochen bei Tag und Nacht steuern. Das ist unmöglich! Gleich nach dem Frühstück werden Sie mir bitte die erste Lektion erteilen. Anschließend legen Sie sich hin und ruhen sich aus. Wir werden uns genauso ablösen, wie es auf einem Schiff geschieht.«
    »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen etwas beibringen könnte«, protestierte ich. »Ich lerne ja selbst noch. Als Sie sich mir anvertrauten, haben Sie nicht bedacht, über wie wenig Erfahrung ich mit kleinen Booten verfüge. Es ist das erste Mal, dass ich mich in so einem Ding befinde.«
    »Dann lernen wir eben gemeinsam, mein Herr! Und da Sie bereits einen Vorsprung haben, zeigen Sie mir, was Sie schon können. Und jetzt bitte ich um Frühstück. Diese Luft macht hungrig!«
    »Es gibt leider keinen Kaffee«, bedauerte ich, während ich ihr gebutterte Zwiebäcke und eine Scheibe Zunge aus der Dose überreichte. »Und wir können auch keinen Tee machen, keine Suppe, überhaupt nichts Heißes, bevor wir irgendwo an Land gehen.«
    Nach unserem einfachen Frühstück, das von einer Tasse Wasser gekrönt wurde, nahm Maud Unterricht im Steuern. Indem ich sie unterwies, wurde mir selbst einiges klarer. Ich hatte die Ghost gesteuert und die Männer in den Booten beobachtet. Diese Kenntnisse waren mir jetzt von Nutzen. Maud war eine aufmerksame Schülerin und konnte den Kurs rasch halten, in den Böen

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