Der Seewolf
da drüben dürfte ihm das kaum gelingen.« Er deutete auf das dritte Boot der Macedonia, auf das wir jetzt zufuhren. »Dabei habe ich Horner und Smoke gesagt, dass ich die Männer lebendig brauche und nicht als Leichen. Die Freude am Schießen ist mit ihnen durchgegangen. Haben Sie es schon mal versucht, Mr van Weyden?«
Ich schüttelte den Kopf und betrachtete das Ergebnis von Horners und Smokes Schießwut. Das Boot schaukelte, sich selbst überlassen, wie ein Betrunkener auf den Wellen. Der Jäger und der Ruderer lagen mit verdrehten Gliedern auf den Planken, während der Steuermann quer über der Bordwand lag, halb drinnen, halb draußen. Seine Arme schleiften durchs Wasser, sein Kopf rollte von einer Seite auf die andere.
»Schauen Sie nicht hin, Miss Brewster«, bat ich inständig, »bitte, schauen Sie nicht hin!« Zum Glück hörte sie auf meine Worte und der grausame Anblick blieb ihr erspart.
»Mitten hinein in die Meute, Mr van Weyden«, befahl Wolf Larsen.
Als wir näher kamen, hörten die Schüsse auf. Die Schlacht war zu Ende. Die restlichen zwei Boote waren von unseren fünf gekapert worden. Alle sieben lagen dicht beieinander und warteten darauf, aufgesammelt zu werden.
»Sehen Sie!«, rief ich unwillkürlich und zeigte nach Nordosten. Dort war der Rauchfleck wieder in Sicht, der die Position der Macedonia anzeigte.
»Ja, ich habe sie schon bemerkt«, erwiderte Wolf Larsen gelassen. Er schätzte die Entfernung zur Nebelbank und hielt für einen Augenblick inne, um die Stärke des Windes auf seiner Wange zu beurteilen. »Ich denke, wir schaffen es. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass mein so genannter Bruder uns auf die Schliche gekommen ist und uns jagt. Ah, schauen Sie sich das an!«
Der Rauchfleck war viel größer geworden und kohlrabenschwarz. »Ich werde dir ein Schnippchen schlagen, werter Bruder!« Er lachte in sich hinein. »Und ich hoffe, dass es deine alte Kiste in Stücke zerreißt!«
Die Boote verteilten sich auf beiden Seiten der Ghost und die Männer kamen alle auf einmal an Bord. Eilig wurden die Gefangenen in die Back geschafft, während unsere Matrosen die Boote einholten. Als das letzte aus dem Wasser gehievt wurde, befanden wir uns schon wieder in voller Fahrt. Alle Segel waren gesetzt.
Eile war geboten! Aus Nordwesten kam die Macedonia auf uns zugejagt. Ohne ihre verbliebenen Boote zu beachten, nahm sie ihren Kurs in einem spitzen Winkel zu dem unsrigen, sodass wir uns am Rande der Nebelbank treffen mussten. Uns blieb nur eine einzige Chance: Wir mussten die Nebelbank vor ihr erreichen.
Wolf Larsen steuerte. Mit funkelnden Augen überblickte er die Situation und erteilte seine Befehle, um auch das Letzte aus der Ghost herauszuholen. Auf einmal war jeder Unmut an Bord vergessen und die gesamte Mannschaft verfolgte gemeinsam ihr Ziel. »Holt lieber eure Gewehre, Leute«, rief Larsen unseren Jägern zu. Dann standen die fünf Männer in einer Reihe an der Reling, die Gewehre im Anschlag, und warteten.
Die Macedonia war nur noch eine Meile entfernt und durchpflügte mit siebzehn Knoten die Wogen. Wir brachten es nur auf neun Knoten, aber die Nebelbank war schon ganz nah. Plötzlich stieg eine Rauchwolke vom Deck der Macedonia auf und ein mächtiger Knall erschütterte die Luft. In unserem Großsegel klaffte ein rundes Loch. Sie schossen auf uns mit einer der kleinen Kanonen, die sie einem Gerücht zufolge an Bord hatten.
Unsere Männer rotteten sich mittschiffs zusammen und schwenkten unter Hohngelächter ihre Mützen. Die nächste Kugel verfehlte die Ghost um höchstens zwanzig Fuß, das dritte Geschoss riss ein weiteres Loch in unser Groß. Dann tauchten wir in den Nebel ein. Dichte feuchte Schleier umhüllten uns.
Der plötzliche Wechsel war erschreckend. Eben waren wir noch bei blauem Himmel und Sonnenschein unterwegs gewesen, keine Sekunde später war alles ausgelöscht, sogar unsere Masttopps nicht mehr zu sehen. Der graue Nebel benetzte unsere Kleider und unsere Haut mit winzigen Tröpfchen und sämtliche Teile der Ghost troffen vor Nässe. Ich fühlte mich eingesperrt, bedrängt von den weißen Schwaden, die mich zu ersticken drohten.
Maud Brewster ging es anscheinend ähnlich, doch Wolf Larsen blieb unbeeindruckt wie üblich. Er stand am Steuer und berechnete die Dinge, die notwendig waren.
»Gehen Sie nach vorn und halten Sie sie hart am Wind, aber absolut geräuschlos«, befahl er mir leise. »Holen Sie als Erstes die Toppsegel ein und postieren Sie
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