Der Seewolf
Als er den Kopf etwas hob, sah ich Schweißperlen auf seiner Stirn.
»Ich bin ein kranker Mann, ein sehr kranker Mann«, wiederholte er.
»Was ist los?« Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Was kann ich für Sie tun?«
Doch er schüttelte meine Hand ab und lange Zeit verharrte ich schweigend an seiner Seite. Maud betrachtete ihn voller Angst und Schrecken. Wir konnten uns beide nicht vorstellen, was mit ihm los war.
»Hump«, sagte er schließlich, »ich will in meine Koje. Helfen Sie mir! Es wird bald vorübergehen. Es sind diese verdammten Kopfschmerzen, glaube ich. Ich hatte schon dauernd Angst davor. Ich hatte das Gefühl - nein, ich weiß nicht, was ich rede. Helfen Sie mir in meine Koje.«
Aber als ich ihn dorthin bugsiert hatte, vergrub er wieder das Gesicht in den Händen und im Fortgehen hörte ich ihn murmeln: »Ich bin ein kranker Mann, ein sehr kranker Mann.«
Maud sah mir fragend entgegen. Ich schüttelte den Kopf.
»Irgendetwas ist ihm zugestoßen, aber ich weiß nicht, was. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich hilflos und empfindet Furcht. Es muss passiert sein, bevor ich ihn mit dem Messer traf, denn das ist nur eine oberflächliche Verletzung. Sie müssten gesehen haben, was geschah?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe gar nichts gesehen. Mir ist das alles genauso rätselhaft. Plötzlich ließ er mich los und taumelte zurück. Aber was machen wir jetzt? Was sollen wir bloß machen?« »Bitte, warten Sie, bis ich zurückkomme«, antwortete ich. Dann ging ich an Deck. Louis stand am Rad.
»Du kannst gehen und dich aufs Ohr legen.« Ich nahm seinen Platz ein.
Gern nahm er mein Angebot an und ich war allein an Deck. So leise wie möglich geite ich die Toppsegel auf, holte Außenklüver und Stagsegel ein, den Klüver nach Backbord über, das Großsegel dicht und brachte das Schiff hoch an den Wind. Dann ging ich zu Maud hinunter.
Ich legte den Finger auf meine Lippen und sah nach Wolf Larsen. Er lag noch genauso da, wie ich ihn verlassen hatte. Sein Kopf wand sich von einer Seite auf die andere.
»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte ich.
Zuerst antwortete er nicht, doch als ich meine Frage wiederholte, sagte er: »Nein, nein, es geht schon wieder. Lassen Sie mich bis morgen früh allein.« Als ich ging, bemerkte ich, dass sein Kopf wieder hin und her ruckte.
Maud hatte geduldig auf mich gewartet.
»Würden Sie sich mir für eine Reise von etwa sechshundert Meilen anvertrauen?«, fragte ich.
»Sie meinen ...?«Ich wusste, sie hatte richtig geraten.
»Ja, genau das. Uns bleibt nichts als eins der kleinen Boote zu nehmen.«
»Mir bleibt nichts sonst«, sagte sie. »Sie sind hier wahrscheinlich genauso sicher wie bisher.«
»Nein. Uns bleibt nichts als ein Boot zu nehmen«, wiederholte ich hartnäckig. »Ziehen Sie sich bitte so warm an, wie es nur geht. Rasch! Und packen Sie ein Bündel mit den Sachen zusammen, die Sie mitnehmen wollen. Bitte beeilen Sie sich!«, fügte ich hinzu, als sie zu ihrer Kabine ging.
Die Vorratskammer befand sich direkt unter der Kajüte. Ich holte mir eine Kerze, öffnete die Falltür und kletterte hinunter, um die Schiffsvorräte zu inspizieren. Ich wählte vor allem Konservenbüchsen aus, und als ich fertig war, streckten sich mir hilfreiche Hände entgegen, die sie mir abnahmen.
Wir arbeiteten schweigend. Aus der Kleiderkiste besorgte ich Decken, Handschuhe, Ölzeug, Mützen und ähnliches. Es würde kein Vergnügen sein, sich bei rauem Wetter in einem kleinen Boot auf die stürmische See zu wagen. Wir mussten uns vor allem gegen die Kälte und Nässe wappnen.
Fieberhaft mühten wir uns, unsere Sachen an Deck zu schleppen und mittschiffs zu stapeln. Maud, die nicht gerade kräftig war, musste zwischendurch verschnaufen. Ich überlegte, woher ich Waffen beschaffen könnte. Dann lief ich noch einmal in Wolf Larsens Raum und holte seine Flinte und sein Gewehr. Als ich ihn ansprach, reagierte er nicht. Nur sein Kopf wackelte hin und her. »Auf Wiedersehen, Luzifer«, murmelte ich, während ich leise die Tür schloss.
Jetzt benötigten wir noch einen Vorrat an Munition. Das war kein Problem, obwohl ich zur Treppe zum Zwischendeck musste. Hier bewahrten die Jäger ihre Munitionskisten auf, die sie mit in die Boote nahmen. Und hier, nur wenige Schritte von ihrem Saufgelage entfernt, versorgte ich mich mit zwei Kisten davon.
Als Nächstes musste ein Boot zu Wasser gelassen werden. Für einen Mann allein nicht ganz einfach. Ich ließ es
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