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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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hat, der die Berge geformt hat und alles darauf geschaffen hat …
    Ich bin der, der die Augen öffnet, sodass das Licht heraustritt. Ich bin der, der die Augen schließt, sodass die Nacht heraustritt …
    Ich bin der, der das lebendige Feuer gemacht hat …
    Ich bin Cheper am Morgen, Re am Mittag, Atum am Abend …
    Die drei Erscheinungsformen von Re, dachte Huy, als er das las. Natürlich! Re ist Eins und doch Drei, ist weiter immer nur Atum. Jetzt ist er Re-Atum.
    Der unbekannte Kommentator, dessen Werk Huy noch viele Male segnete, deutete an, was Huy in Chmunu im vierten Teil des Buches finden würde.
    Der Geist des Kosmos schuf aus Feuer und Luft die sieben Spender, die das Schicksal lenken … Diese himmlischen Mächte, nur durch den Gedanken zu erkennen, nennt man Götter, und sie herrschen über die Welt … Re lässt den Kosmos seinen Weg nehmen, aber er lässt ihn nie in die Irre gehen, denn wie ein kluger Wagenlenker hat Re den Kosmos an sich gebunden, sodass er nicht in die Unordnung rasen kann – seine Zügel sind die Sonnenstrahlen … Die Sonne ist eine Erscheinungsform des Schöpfers, der höher als die Himmel ist …
    Atum schafft den Kosmischen Geist. Der Kosmische Geist schafft den Kosmos. Der Kosmos schafft die Zeit. Die Zeit schafft den Wandel …
    Der Kosmische Geist ist immer mit Atum verbunden. Der Kosmos ist aus Gedanken im Kosmischen Geist gemacht. Der Kosmische Geist ist eine Erscheinungsform von Atum. Der Kosmos ist eine Erscheinungsform des Kosmischen Geistes. Die Sonne ist eine Erscheinungsform des Kosmos … Der Mensch ist eine Erscheinungsform der Sonne …
    Huy, der begeistert, fast trunken von dem war, was er hier entdeckte, vergaß trotzdem nicht, dass unter den Ergüssen die einfachen, grundlegenden Säulen standen, die hervortreten würden, wenn er ihnen die Zeit dazu ließ. Also setzte er seinen Unterricht fort, spannte den Bogen, warf den Speer und qualifizierte sich von Fauler Weißer Stern zu einem temperamentvolleren und absolut respektlosen Streitwagenpferd. All dies war nicht mehr von den Ängsten begleitet, die ihm in der Anfangsphase des Lesens zugesetzt hatten. Ramose ließ ihn in Ruhe. Huy war sich sicher, dass der Oberpriester jeden seiner Fortschritte genau beobachtete, aber da seine Gabe glücklicherweise schlummerte und sein Leben in den geregelten Bahnen alltäglicher Routine verlief, die er seit langem schätzte, war ihm das egal.
    In der ersten Hälfte der Jahreszeit Schemu kehrte er nach Chmunu zurück, um die zwei Rollen zu lesen, die den vierten Teil des Buches umfassten, in dem es um die Schaffung der Zeit und der materiellen Welt ging. Ramose hatte keine Einwände, als Huy darum bat, wieder Anhor und Amunmose als Begleiter mitzunehmen. Diesmal konnte Huy ein Ägypten genießen, das den Zauber der Fruchtbarkeit verströmte. Stundenlang stand er an der Reling und betrachtete die üppigen Felder mit dem rasch reifenden Getreide, an denen sie vorüberglitten. In zwei Monaten würde die Ernte beginnen.
    Huy fand den Tempel in Chmunu wieder genauso abweisend wie beim letzten Mal, und die Unterströmung des allgegenwärtigen Heka ließ die ohnehin ernste Atmosphäre noch bedrückender erscheinen. Anhor spürte davon nichts. Er war verwundert, als Huy ihn fragte, ob er sich durch dieses gewisse Gefühl von Vergeltung bedroht fühle. »Nein«, hatte der Soldat geantwortet. »Ich bin nur müde und gelangweilt. Doch dann mache ich mir klar, dass ich nicht in irgendeinem dunklen Gang in Res Haus Wache stehe. Thots Haus ist wunderschön, findest du nicht, Huy?« Huy fand das auch, doch seine Träume waren düster, und sein Appetit schien ihn verlassen zu haben.
    Er mied die Tempelschule, und nachdem er einmal dazu eingeladen worden war, nahm er seine Mahlzeiten regelmäßig mit dem Archivar Chanun ein, der eine einsame Kammer neben dem Eingang zum Lebenshaus bewohnte. Dies schien ihm der einzig unbeschwerte, wirklich menschliche Ort im Tempelbezirk zu sein. Natürlich enthielt Chanuns Schrein eine Darstellung des Gottes, aber die Wände der Kammer waren – wenig kunstvoll und schreiend – mit einheimischen Vögeln und anderen Tieren und auch einigen ziemlich krummen Bäumen bemalt. Huy mochte die schiere Ausgelassenheit der Bilder. »Ich habe das selbst gemalt«, entschuldigte sich der Priester. »Archivar zu sein, ist eine ziemlich staubige Angelegenheit in dunklen Räumen. Ich liebe die Ruhe und arbeite gern allein, aber ich bin auf einem Bauernhof mit Kühen und

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