Der Seher des Pharao
einmal verabschiedete er sich von Anhor und Amunmose und war auf dem Weg in seinen Hof, als Thutmosis kreidebleich angerannt kam. Er packte Huy an beiden Armen und schüttelte ihn. »Sie haben gesagt, dass du zurück bist!«, schrie er. »Den Göttern sei Dank, dass du da bist! Sie war in der Straße der Korbmacher, als ein Esel durchging. Er hat seine Karre umgeworfen und laut schreiend um sich getreten. Sie hat einen schrecklichen Tritt in den Magen abbekommen, und die Ärzte können die Blutung nicht stillen! Komm mit, Huy! Schnell!«
Huy machte sich aus dem Griff des Freundes los. »Aber sie hatte doch versprochen, nicht dorthin zu gehen, Thutmosis. Hatte sie das vergessen?«
Thutmosis sah ihn einen Moment lang verständnislos an. Seine Hände und Lippen zitterten. »Nicht Nascha«, stammelte er. »Meine Mutter. Mutter war dort. Vor zwei Tagen.« Er nahm Huys Lederbeutel. »Das Boot wartet auf dem Kanal auf uns. Vater hat dir einen Boten nach Chmunu geschickt, ihr müsst euch irgendwo auf dem Fluss verpasst haben.«
Furcht ergriff Huy, als er sich von Thutmosis mitzerren ließ. »Aber was kann ich denn tun?«, rief er dem kleinen, drahtigen Jungen zu, der zum großen, gepflasterten Platz vor dem Pylon stürmte. »Ich bin doch kein Heiler!«
Thutmosis ignorierte ihn, rannte über den Landungssteg auf das Boot, schrie dem Steuermann etwas zu, und die Ruderer hoben die Riemen. Huy stolperte hinterher, der Steg wurde eingezogen, und Thutmosis kam schwer atmend mit um die Reling gekrampften Händen zum Stehen.
»Eine Sänfte hätte zu lange gebraucht«, murmelte Thutmosis, als sich Huy neben ihn stellte. »Du musst sie retten, Huy, du musst! Leg ihr deine Hände auf. Mach, dass es ihr besser geht. Du kannst diagnostizieren – das hast du schon getan. Bestimmt kannst du auch heilen!«
Huy erinnerte sich daran, dass er eine Diagnose gestellt hatte. Das schreckliche Gefühl, neben sich zu stehen, hatte ihn, wie üblich ohne Vorwarnung, überfallen. Er erinnerte sich weder an die Krankheit noch an das Rezept, das aus seinem Mund gekommen war. »Das war etwas anderes«, sagte er. »Thutmosis, hör mir zu! Ich bin kein Heiler!«
Thutmosis senkte den Kopf, und seine Miene wurde aufsässig. »Das weißt du doch gar nicht. Du bist eine Anomalie, eine Schöpfung der Götter. Du weißt doch selbst nicht, was du kannst und was nicht.« Er wandte Huy sein gequältes Gesicht zu. »Ich bitte dich darum, Huy. Mein Vater bittet dich auch.«
Ich weiß, dass ich nichts anderes kann, als Nacht den Moment zu nennen, wann Nefer-Mut sterben wird, dachte Huy düster. Götter, wie schrecklich! Was für eine sinnlose Gabe habe ich bekommen: Die Zukunft vorhersagen, wenn es für Thutmosis’ Mutter keine Zukunft gibt, sondern nur das Halbdunkel der zugigen Halle der beiden Wahrheiten!
Ein anderer Gedanke ließ ihn schaudern. Nascha hatte ihn ausgelacht, sich aber an ihr Versprechen gehalten, nicht in die Straße der Korbmacher zu gehen. Trotzdem hatte ein Mitglied ihrer Familie hier einen Unfall gehabt. Es war, als hätte er trotz seiner Warnung passieren müssen, egal wem. Der Augenblick selbst konnte nicht abgewendet werden.
»Deine Mutter ist mir sehr teuer. Ich werde es versuchen.«
Die Wache an Nachts Anlegestelle grüßte sie kurz, als sie über den Steg und an ihr vorbei zu dem Pfad liefen, der hinter den wogenden Weiden zum Haupteingang des Hauses führte. Von dem Diener, der normalerweise unter dem Portikus auf einem Hocker saß, um die Besucher zu empfangen, war nichts zu sehen. Die Tür stand offen. Thutmosis rannte mit Huy auf den Fersen in den kühlen Salon und weiter in den Flur und die Treppe zu den Gemächern der Frauen hinauf. Verschiedene Gerüche drangen Huy in die Nase: Parfüm, Zimt und darunter, fast nicht zu spüren, frisches Blut. Sein Magen krampfte sich zusammen. Er folgte Thutmosis durch eine Tür auf der rechten Seite und wurde langsamer.
Obwohl der Raum groß und hoch war, wirkte er eng, weil sich so viele Menschen um das Podium an der gegenüberliegenden Wand drängten, auf dem ein breites Bett stand. Bleiche Gesichter wandten sich den Neuankömmlingen zu, und sofort wurde eine Gasse für die beiden Jungen gebildet. Nacht löste sich aus der Gruppe. »Tu dein Bestes, Huy«, sagte er ohne Umschweife. »Ihre Verletzung ist tödlich, wenn die Götter nicht eingreifen.« Huy nickte, betrat das Podium und kniete neben dem niedrigen Bett nieder.
Der Kupfergeruch des frischen Blutes umfing ihn. Nachts
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