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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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all den Vögeln und Tieren an den Kanälen aufgewachsen. Thots strenge Gärten füllen nicht die Lücke, die die Arouras meines Vaters in meinem Herzen hinterlassen haben.« Huy freute sich, so viel mit diesem Mann gemein zu haben, der sich von seinen bescheidenen Wurzeln aus eigener Kraft vom Schreiber zum Priester und schließlich zum Vorsteher des Lebenshauses emporgearbeitet hatte. Es war angenehm, mit ihm zu reden, und Huy erzählte gelegentlich mehr von sich, als er eigentlich preisgeben wollte, aber er wusste instinktiv, dass Chanun vertrauenswürdig war.
    Chanun war auch gewitzt. Am dritten Tag, als er nach ihrem Abendessen die Lampen anzündete, fragte er, ohne sich umzudrehen, plötzlich: »Huy, warum suchst du nicht die Gesellschaft der anderen Priester oder der Schüler? Alle wissen, dass du wieder hier bist. Sie wundern sich bestimmt, dass du dich bei mir vergräbst. Willst du dich verstecken? Macht dir das Buch Angst?« Er blies den Anzünder aus und legte ihn vorsichtig auf einen Teller.
    Huy nahm sich ein Kissen und lehnte sich gegen die Wand. »Das Buch ängstigt mich nicht, Meister, aber der Tempel, die Anlage, der Heilige See. Hier ist so viel Magie, alles ist durchtränkt davon, und ich habe das Gefühl, Thot wird mich bestrafen, wenn ich etwas Falsches sage oder tue, zu laut lache oder auch nur einen dummen Gedanken habe.«
    Chanun starrte ihn verblüfft an. »Huy, Thot segnet dich doch! Du liest sein Buch! Du bist dazu auserwählt worden, und deshalb lächelt dich der Gott sicher mit seinem göttlichen Wohlwollen an. Seine Magie steht zu deiner Verfügung!«
    »Nein, das tut sie nicht«, sagte Huy mit schwerer Stimme. »Sie wartet darauf, ein Urteil über mich zu fällen, mich aus einem unbekannten Grund zu verdammen. Jedes Mal, wenn ich eine der Papyrusrollen öffne, habe ich Angst, ich bin nur um Haaresbreite davon entfernt, einen Fehler zu machen, der mich in eine Duat stürzt, von der ich nichts weiß. Mein Selbstvertrauen verlässt mich. Hier lauert etwas auf mich, etwas Schreckliches. Jeden Tag versuche ich, ihm zu entgehen.« Er hielt beide Handflächen hoch. »Ich habe keine Ahnung, was es ist, aber in Iunu folgt es mir nicht in meine Kammer. Niemand sonst scheint den Strudel von Heka, der diesen Bezirk durchdringt, zu bemerken, Meister. Nur ich.«
    »Natürlich bist du besonders empfindsam«, sagte Chanun nachdenklich, »aber ich bin erschrocken, dass du das als Bedrohung wahrnimmst. Thot ist gütig, Huy. Er gab uns die Sprache. Er schuf auf Atums Befehl das unendliche Jenseits. Er entscheidet über unser Schicksal, insbesondere deines. Du stehst gewiss unter seinem Schutz.«
    »Thot war nicht bei dem Isched-Baum«, wandte Huy ein. »Anubis war da. Auch Maat. Aber nicht Thot, der Gebieter über das Schicksal, der Erschaffer der Zeit. Warum nicht, Meister?«
    »Wie kann ich darauf antworten?«, entgegnete Chanun und ließ sich seufzend und mit knackenden Gelenken auf seinen Kissen nieder. »Wie kann das überhaupt ein Mensch? Solch eine Frage kann nur von dir oder den Göttern selbst beantwortet werden.«
    Ehe er aus Chmunu abreiste, erhielt er den formellen Segen des Thot-Oberpriesters vor dem Allerheiligsten. Als er anschließend im äußeren Hof seine Sandalen wieder anzog, fragte Mentuhotep ihn: »Waren deiner Arbeit hier zufriedenstellende Fortschritte beschieden, Huy? Hast du den Inhalt der Rollen verstanden?«
    Huy richtete sich schuldbewusst auf. Er hatte alles getan, um dem Mann aus dem Weg zu gehen. »Sie behandeln die Schaffung der ewigen Elemente, wie du sicher weißt, Meister«, sagte er vorsichtig. »Sie sind leicht zu begreifen. Hätte ich Hilfe gebraucht, hätte ich mich unverzüglich an dich gewandt. Du warst sehr gütig«, fügte er lahm hinzu.
    Mentuhotep hob die Augenbrauen. »Es freut mich, dass mein Beitrag nicht nötig war. Aber es tut mir leid, dass wir nicht einmal einen Becher Bier zusammen trinken und uns über weniger vergeistigte Themen als die Götter unterhalten konnten. Vielleicht besuchst du uns ja später einmal nur aus diesem Grund.«
    Huy versuchte vergebens, seine Verzweiflung zu unterdrücken. »Es war nicht wegen dir, Meister«, platzte er heraus. »Dieser Ort bedrückt mich. Ich habe mich feige bei Chanun versteckt. Verzeih mir.« Mentuhotep antwortete nicht. Er legte kurz die Hand auf Huys Kopf, dann schritt er davon und verschwand im Schatten des riesigen äußeren Pylons.
    Bis er in Iunu ankam, hatte sich Huys Schamgefühl längst gelegt. Wieder

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