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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Arbeit, ohne Aufgabe: Stundenlang durchstrich ich meine trostlose Wohnung, und als ich dessen müde wurde, stand ich eine weitere Stunde oder länger müßig am Fenster, sah zu, wie sich der Himmel bleiern färbte, sah zu, wie der unerwartete erste Schnee dieses Winters niederfiel, sah zu, wie kalte Nacht sich über Manhattan breitete.
    Dann verdrängte Ärger die Verzweiflung, und wütend rief ich Carvajal an.
    »Quinn weiß Bescheid«, sagte ich. »Über Sudakis’ Rücktritt. Ich habe Mardikian das Memo vorgelegt, und er hat es dem Bürgermeister gezeigt.«
    »Ja?«
    »Und sie haben mich entlassen. Sie glauben, ich bin verrückt. Mardikian sprach mit Sudakis, der ihm sagte, er denke nicht an Rücktritt, und Mardikian sagte, er und der Bürgermeister machten sich Sorgen wegen meiner Kristallkugel-Prophezeiungen; sie wollten, daß ich wieder zu normalen Projektionen zurückkehre, und da habe ich ihnen vom Sehen erzählt. Sie habe ich nicht erwähnt. Ich sagte, ich hätte die Fähigkeit, und von daher stammten die Empfehlungen in Sachen Thibodaux und Sudakis, und Mardikian ließ mich alles vor Quinn wiederholen, und Quinn sagte, es wäre ihm zu gefährlich, einen Irren wie mich in seinem Stab zu behalten. Natürlich hat er es etwas milder ausgedrückt. Bis zum dreißigsten Juni bin ich beurlaubt, dann werde ich von der Liste der städtischen Gehaltsempfänger gestrichen.«
    »Aha«, sagte Carvajal. Es klang weder überrascht noch mitfühlend.
    »Sie wußten, daß das passieren würde.«
    »Ja?«
    »Sie müssen es gewußt haben. Treiben Sie keine Spiele mit mir, Carvajal. Wußten Sie, daß man mich feuern würde, wenn ich dem Bürgermeister sagte, daß Sudakis im Januar zurücktreten werde?«
    Carvajal sagte nichts.
    »Wußten Sie’s, oder wußten Sie’s nicht?«
    Das schrie ich.
    »Ich wußte es«, sagte er.
    »Sie wußten es. Natürlich wußten Sie es. Aber Sie haben es mir nicht gesagt.«
    »Sie haben mich nicht danach gefragt«, erwiderte er unschuldig.
    »Ich habe nicht daran gedacht zu fragen. Gott weiß warum, aber ich habe nicht dran gedacht. Hätten Sie mich nicht warnen können? Hätten Sie nicht sagen können: Halten Sie den Mund, lassen Sie nichts verlauten, Ihre Lage ist heikler, als Sie ahnen, man wird Sie mit einem Tritt in den Hintern hinausbefördern, wenn Sie nicht aufpassen?«
    »Wie können Sie immer noch solche Fragen stellen, Lew?«
    »Sie konnten einfach ruhig zulassen, daß meine Karriere zerstört wird?«
    »Überlegen Sie doch mal in Ruhe«, sagte Carvajal. »Ich wußte, daß Sie entlassen werden würden, ja. Genauso, wie ich weiß, daß Sudakis zurücktreten wird. Aber was konnte ich machen? Für mich hat Ihre Entlassung schon stattgefunden. Sie kann nicht verhindert werden.«
    »O Gott! Kommen Sie mir wieder mit der Verwirklichung der Wirklichkeit?«
    »Natürlich. Nehmen Sie denn wirklich an, Lew, ich würde Sie vor etwas warnen, wenn es doch nur scheinbar in Ihrer Macht steht, es zu ändern? Wie sinnlos das wäre! Wie töricht! Wir ändern nichts.«
    »Nein, wir ändern nichts«, sagte ich bitter. »Wir halten uns abseits und lassen es höflich geschehen. Notfalls sorgen wir noch dafür, daß es geschieht. Selbst wenn das eine Karriere zerstört, selbst wenn damit der Versuch zerstört wird, diesem armen, schlechtregierten Land einen Präsidenten zu geben, der… O Gott, Carvajal, das haben Sie mir eingebrockt, nicht wahr? Sie haben die ganze Sache so geplant und mich hineingeritten. Und es ist Ihnen egal. Nicht wahr? Es ist Ihnen völlig egal!«
    »Es gibt viel Schlimmeres, als nur einen Job zu verlieren, Lew.«
    »Aber alles, was ich aufgebaut habe, alles, was ich zu formen versucht habe… Wie in Gottes Namen soll ich jetzt Quinn helfen? Was soll ich tun? Sie haben mich ruiniert.«
    »Was geschehen ist, mußte geschehen«, sagte er.
    »Sie und Ihre verdammte fromme Ergebenheit!«
    »Ich dachte, Sie hätten sich diese Ergebenheit längst zu eigen gemacht.«
    »Ich mache mir gar nichts zu eigen!« schrie ich. »Ich war von Sinnen, mich je mit Ihnen einzulassen, Carvajal. Ihretwegen habe ich Sundara verloren, meinen Platz an Quinns Seite, meine Gesundheit und meinen Verstand, ich habe alles verloren, was mir wichtig war, und wofür? Wofür? Für einen kümmerlichen Blick in die Zukunft, der vielleicht nur eine Erschöpfungshalluzination war? Für einen Kopf voll krankhafter fatalistischer Philosophie und unausgegorener Theorien über den Fluß der Zeit? Mein Gott! Wäre ich Ihnen nur

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