Der Seitensprung
lassen.
»Begreifst du nicht, wie das für mich ist? Wenn du der Meinung bist, dass wir Probleme haben, dann solltest du wohl mit mir darüber reden und nicht mit ihr.«
Kurzes Schweigen. Und dann wieder die Gleichgültigkeit in seinen Augen.
»Ich habe das Recht zu reden, mit wem ich will, damit hast du nichts zu tun.«
Ein Fremder saß mit ihr am Tisch.
Vielleicht war er das im Grunde immer gewesen. Hatte sie ihn vielleicht nie gekannt? Sie hatte lediglich fünfzehn Jahre neben ihm hergelebt, aber nie gewusst, wer er wirklich war. Nur seinen Zorn verstand sie nicht. Warum er nicht wenigstens begreifen konnte, wie weh er ihr tat. Und wenn er es doch begriff, warum spielte es dann keine Rolle für ihn? Wieso schlug er weiter, obwohl sie längst besiegt war? Trat zu, während sie bereits am Boden lag?
Er stand auf, und nun war etwas Neues in seinem Blick. Vielleicht sah sie ganz einfach Ekel in seinen Augen.
»Du gönnst mir nur nicht, dass ich mich amüsiere.«
»Ach, so ist das also. Schlaft ihr auch miteinander?«
Sie musste es wissen.
Diesmal rümpfte er die Nase.
»Nein, was, zum Teufel, denkst du dir denn? Bloß, weil wir gerne miteinander reden und Spaß haben. Du kannst dir deine widerlichen Phantasien für deine widerlichen Verhandlungsstrategien aufsparen.«
Er ging ins Arbeitszimmer und schloss die Tür mit einem Knall.
Vor zwei Jahren hatten sie sie gemeinsam lasiert.
Maria aus der Agentur Widmans. Mit der kann man Spaß haben.
Sie sah, dass die Geranie am Küchenfenster Wasser brauchte, und stand auf, um die Gießkanne zu holen. Außerdem durfte sie nicht vergessen, die Rechnung für Axels Schwimmkurs zu bezahlen. Mit der Kanne in der Hand blieb sie stehen und sah aus dem Fenster. Ein Kastenwagen parkte in der Garageneinfahrt der Nachbarn, und zwei Männer luden gerade eine ganze Garnitur Weißwaren aus. Aufstieg und Verfall. So verschieden konnte es aussehen auf einem Abstand von nur zehn Metern. Sie nahm ihre Handtasche und ging hinunter in den Hausflur.
»Ich suche Maria.«
Sie stand draußen zwischen den Bäumen in der öffentlichen Grünanlage. Vom Haus aus anzurufen war ihr unmöglich erschienen. Allein der Gedanke, zwischen ihren gemeinsamen Sachen zu stehen und gleichzeitig die Stimme dieser Frau zu hören, war undenkbar. Es hätte jeden Gegenstand besudelt, auf den während des Gespräches ihr Blick gefallen wäre. Sie wusste eigentlich nicht, warum, aber aus irgendeinem Grund empfand sie einfach ein ungeheures Bedürfnis, ihre Stimme zu hören. Diese Maria aus der Agentur Widmans, die Dinge über sie wusste, die ihr selbst nicht bekannt waren. Was hatte Henrik gesagt? Was hatte er erzählt? Irgendwie musste sie das Gleichgewicht wiederherstellen. Musste wieder die Oberhand gewinnen.
»Sie wollen Maria sprechen?«
»Ja, Maria.«
Falls es mehrere bei Ihnen gibt, nehmen Sie die netteste, eine, die sich gern in Dinge einmischt, die sie nichts angehen.
»Dann müssen Sie sich verwählt haben.«
»Bin ich nicht mit Widmans Graphikdesign verbunden?«
»Doch, aber es gibt hier keine Maria.«
Sie beendete das Gespräch und blieb stehen. Adrenalin wurde durch ihren Körper gepumpt, ohne freien Lauf zu finden. Was sollte das heißen, es gibt hier keine Maria?
Verwirrt ging sie ums Haus und sah den Lastwagen aus der Einfahrt der Nachbarn fahren. Sie ging wieder hinein und betrat das Badezimmer, ließ die Kleider auf den Boden fallen und dort liegen. Warum log er sie an? Wieso hatte er behauptet, er habe mit Maria von Widmans geredet, wenn sie gar nicht existierte? Sie konnte ihn schlecht danach fragen, denn sie wollte um keinen Preis ihre Schnüffelei zugeben. Die Genugtuung, dass sie sich zu so etwas herabließ, gönnte sie ihm ganz gewiss nicht.
Sie fand sie hinter dem Badezusatz, den Axel ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Am meisten erstaunte sie die Nachlässigkeit. Oder waren sie vielleicht mit Absicht dort vergessen worden, als offenkundige Kriegserklärung? Vielleicht hatte jemand, mit dem man Spaß haben und gut reden konnte, sein neues Revier abstecken, seine Machtposition markieren wollen?
Er belog sie.
Das Schwein log sie an, und die Verachtung für seine Feigheit steigerte sich in ihr zu neuem Antrieb. Ein Gefühl, das sie nie zuvor erlebt hatte.
Man sollte nicht lügen. Vor allem nicht einem Menschen gegenüber, der einem vertraute, jemandem, der einem fünfzehn Jahre lang vertraut und geglaubt hatte, man wäre sein engster Freund.
Wenn die Lüge zudem das
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