Der Seitensprung
mag. Und genau damit würde ich Ihnen gerne helfen. Ich möchte Ihnen helfen, sich zu erinnern, damit Sie weiterkommen. Die Arbeit, die Ihnen bevorsteht, ist schwierig und schmerzhaft, aber sie ist absolut notwendig. Während des Gespräches werden Sie mit Sicherheit wütend werden, aber es ist nur gut, wenn Sie Ihren Zorn herauslassen, ich will, dass Sie ihn zunächst auf mich richten.«
Nicht hier! Nie zuvor hatte er sich an ihn herangetraut, wenn Anna dabei war und ihn beschützte.
»Verstehen Sie, was ich meine, Jonas? Ich bin hier, um Ihnen zu helfen, auch wenn es Ihnen nicht so vorkommen wird. Anna stirbt, und Sie müssen das akzeptieren. Und Sie müssen akzeptieren, dass es nicht Ihre Schuld ist. Sie haben getan, was Sie konnten. Mehr als das kann man von einem Menschen nicht verlangen.«
Kalmar-Karesuando 1664, Karlskrona-Karlstad 460.
»Ich weiß nur, was im Polizeibericht steht, und kenne natürlich die hiesige Akte, die bei ihrer Aufnahme erstellt wurde. Aufgrund des Sauerstoffmangels hat sie einen ischämischen Hirnschaden erlitten. Womit enden Ihre Erinnerungen?«
Landskrona-Ljungby 142. Hilf mir, Anna! Halt es an!
»Sie waren hinunterspaziert zur Årstabucht, um ein Picknick zu machen. Wissen Sie noch, an welchem Tag es war?«
»Nein.«
»Versuchen Sie, sich zu erinnern, wie es aussah. Die Bäume, ist Ihnen jemand begegnet, hat es nach etwas Bestimmtem gerochen?«
»Ich erinnere mich nicht. Wie oft muss ich das noch sagen?«
»Sie gingen auf den Steg bei Årstadals Yachtclub.«
Er musste das Gespräch unbedingt beenden. Musste die Frau aus dem Zimmer kriegen.
Ihre Stimme fuhr unbarmherzig fort.
»Anna beschloss zu baden, obwohl es schon Ende September war. Erinnern Sie sich, ob Sie versuchten, sie daran zu hindern?«
Sie blockierte Annas Schutz.
»Sie blieben auf dem Steg stehen. Können Sie sich erinnern, wie weit sie hinausschwamm, bis Ihnen klar wurde, dass sie in Gefahr schwebte?«
Annas Kopf unter Wasser. Trelleborg-Mora. Verflucht. Nicht drei. Eskilstuna-Rättvik 222. Die drei Neonstifte auf ihrem großen Busen waren ein schreiender Hohn. Die leiernde Stimme, die jeden Winkel in ihm ausfüllte und dennoch schonungslos weiterleierte, ohne zu merken, dass er kurz vorm Explodieren stand.
»Als sie verschwand, schwammen Sie hinaus, um ihr zu helfen. Ein zweiter Mann kam hinzu, sah, was geschah, und schwamm hinaus, um Ihnen beiden zu helfen. Erinnern Sie sich, wie er hieß?«
»Ich erinnere mich nicht.«
»Er hieß Bertil. Bertil Andersson. Der hat Ihnen geholfen. Es gelang Ihnen, sie an Land zu bringen, und Bertil Andersson lief zum Yachtclub, um den Notarzt zu rufen. Versuchen Sie es, Jonas, versuchen Sie, sich zu erinnern, wie Sie sich fühlten.«
Er stellte sich hin. Das hier war nicht mehr zum Aushalten.
»Hören Sie nicht, was ich sage, Sie widerwärtige Person? Ich erinnere mich nicht!«
Sie ließ ihn nicht aus den Augen. Blieb ruhig auf ihrem Stuhl sitzen und betrachtete ihn.
Auf dem Dachboden hatte er sie gefunden. Sie hatte den geblümten Morgenmantel an, und es war am Abend vor seinem Auszug. Die Taschen standen bereits gepackt im Hausflur. Die Decke war niedrig, sie hatte keinen Stuhl gebraucht. Nur den kleinen Plastikhocker, den er als Kind benutzt hatte, um ans Waschbecken zu kommen.
»Wie fühlen Sie sich jetzt?«
Ihre Worte brachten das Fass zum Überlaufen.
»Raus hier! Verschwinden Sie von hier und lassen Sie uns in Ruhe!«
Sie blieb sitzen. Rührte sich nicht vom Fleck, sondern durchbohrte ihn weiterhin mit ihren bösen Augen. Ruhig und besonnen, fest entschlossen, ihn vollständig zu brechen.
»Warum, glauben Sie, werden Sie so wütend?«
Ein Riss lief durch ihn hindurch. Er drehte den Kopf und sah zu Anna.
Sie ließ ihn im Stich. Dort lag sie so unschuldsvoll in ihrer Bewusstlosigkeit, aber wie man jemanden im Stich ließ, hatte sie offensichtlich nicht vergessen. Noch einmal wollte sie ihn allein lassen. Nach allem, was er für sie getan hatte.
Verdammt.
Nicht einmal jetzt konnte man sich auf sie verlassen. Nicht einmal jetzt machte sie, was er wollte.
Aber er würde es ihr schon zeigen. Er würde sie nicht gehen lassen.
Auch diesmal nicht.
SIE BESCHLOSS, zu Fuß zum Kindergarten zu gehen. Das Bedürfnis, der Gefahr, die sie verspürte, wenigstens körperlich zu entkommen. Ihre Welt war im Begriff zusammenzubrechen. Die Alarmglocken schrillten, und sie stand gelähmt vor Schreck da, ohne jede Möglichkeit zu fliehen. Irgendwo schmiedete ein
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