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Der Seitensprung

Titel: Der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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sorgte, dass seine Gefangenschaft aufrechterhalten wurde.
    Sie brachte Axel gegen acht ins Bett, und er schlief zum Glück sofort ein. Das Wissen, wo Henrik sich befand, kribbelte in ihrem Körper, und keines der Fernsehprogramme vermochte ihre Phantasien zu zerstreuen. Sie überlegte, wo sie waren, was sie taten, ob sie genau in diesem Moment dicht nebeneinander lagen und er sie liebevoll tröstete. Ihr all die Zärtlichkeit und Liebe schenkte, die einmal ihnen gehört hatten. Henrik und Eva. So lange her.
    Wie war es so weit gekommen? Wann war plötzlich alles zu spät gewesen?
    Sie stand allein da, er hatte sich bereits eine neue Reisegefährtin zum Anlehnen gesucht, mit der er in aller Ruhe eine Alternative für die Zukunft abstecken konnte. Es war ein unerträgliches Gefühl, plötzlich ausgetauscht worden zu sein, verstoßen, ersetzt durch eine andere, von der angenommen wurde, dass sie seine Erwartungen ans Leben besser erfüllte, als es ihr gelungen war. Und kein einziges klares Wort über seine Enttäuschung hatte er ausgesprochen, nein, er gedachte ihr noch nicht einmal so viel Respekt zu erweisen, es ihr zu erklären und ihr eine faire Chance zu geben zu verstehen, was passiert war.
    Sie schaltete den Fernseher aus, und das Zimmer wurde schwarz. Sie hatte sich noch nicht einmal dazu aufraffen können, das Licht einzuschalten, als die Dunkelheit angebrochen war.
    Sie setzte sich in den Sessel vor dem großen Fenster zur Terrasse. Draußen war es stockdunkel. Nicht einmal der Mond schien auf den für tot erklärten Garten. Sie knipste die Leselampe an und griff nach dem Buch, das sie vor dem roten Strich im Kalender zu lesen begonnen hatte. Es blieb ungeöffnet auf ihrem Schoß liegen.
    Es interessierte sie nicht mehr.
    Hatte Linda die E-Mails gelesen, die sie verschickt hatte? Sie hatte den Text ja trotz allem selbst verfasst. Sie fragte sich, wie die beiden reagieren würden, wenn sie die vertrauten Worte sahen, was Henrik glauben würde, wenn er Lindas Liebeserklärung wieder erkannte, die er hinter Schloss und Riegel in seinem Waffenschrank aufbewahrte. Vielleicht hätte er eine Vermutung, aber wie sollte er es wagen zu fragen?
    Sie lachte über das Dilemma, das sie für ihn geschaffen hatte. Tja, Henrik, was willst du jetzt machen? Wenn deine angetraute, verständnisvolle Ehefrau und Mutter deines Sohnes möglicherweise dein größter Feind wäre?
    Sie betrachtete ihr Spiegelbild in der schwarzen Scheibe. Lindas Worte hatten sich unaufgefordert in ihrem Gedächtnis eingenistet, wie eine verunstaltende Tätowierung hatten sie sich hineingefressen. Sie wusste, dass sie sie für den Rest ihres Leben begleiten würden.
    Dann wird mir klar, dass ich bereit bin, alles zu verlieren, nur um mit dir zusammen zu sein. Ich liebe dich. Deine L.
    So geliebt zu werden.
    So geliebt zu werden wie Henrik.
    Sie überlegte, wie er auf den Brief geantwortet hatte. Hatte er plötzlich Worte gefunden, die er noch nie benutzt hatte, weil es gar keinen Anlass dazu gegeben hatte? Worte, die während ihrer gesamtem Ehe ausharrten und warteten, bis ihre Zeit kommen würde, weil sie in diesem Zusammenhang nicht benötigt wurden. Weil sie zu groß waren, zu stark und kraftvoll, übertrieben, doch jetzt endlich Gelegenheit bekamen, sich zu befreien und gebraucht zu werden. Um ihm zu helfen, das aufrechtzuerhalten und zu bewahren, was er gefunden hatte.
    So geliebt zu werden.
    Und den Mut haben, sich so lieben zu lassen.
    Sie schloss die Augen, als sie zugeben musste, dass er das erlebte, wovon sie immer geträumt hatte. Wirkliche Leidenschaft. Die durch sie hindurchgehen und sie zwingen würde, sich vollkommen hinzugeben. Die sie noch nie erlebt hatte. Vorbehaltlos lieben zu dürfen und geliebt zu werden, ohne sich jede Sekunde anstrengen zu müssen, tüchtig zu sein, die Beste. Diejenige sein zu dürfen, die sie eigentlich war hinter der Fassade, die sie sich so erfolgreich aufgebaut hatte, um ihre Angst vor dem Scheitern zu verbergen. Nicht gut genug zu sein. Verlassen zu werden. Du bist doch so stark. Wie oft hatte sie dieses Wort gehört? Sie spielte ihre Rolle so gut, dass niemand sie durchschaute, niemand konnte sehen, was sich dahinter versteckte. Eine Sehnsucht, es einmal zu wagen, all ihre Schwächen zu zeigen und trotzdem zu genügen, nicht mehr kämpfen müssen, um sich etwas zu verdienen, es wagen, jemanden ganz nah an sich heranzulassen, ohne Angst zu haben.
    Dass eines Tages jemand zu ihr sagen würde: »Ich liebe

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