Der Seitensprung
wurde vollkommen still. Trotzdem hörte sie, dass sie immer noch am anderen Ende der Leitung war.
Es gab so viel, was sie gern gesagt hätte. So viele Worte, die tief in ihr schrien und herauswollten. Aber sie musste sich beherrschen, durfte nicht verraten, dass sie Bescheid wusste, sonst würde sie die Oberhand verlieren. Plan B wäre zunichte.
»Fahr zur Hölle.«
Sie legte auf.
Es war unmöglich, wieder einzuschlafen. Sie kroch unter die Decke, lag eine Weile da und starrte nach oben. Axel schmiegte sich an sie. Sein warmer Körper ganz nah. Sie legte sich auf die Seite und betrachtete sein schönes friedliches Gesicht. Der plötzliche Druck auf dem Brustkorb überrumpelte sie. Sie atmete einige Male tief ein, um den Schmerz zu lindern, aber die Luft wollte nicht in ihr bleiben. Sie presste sich wieder hinaus, als könnte sie es dort drinnen nicht aushalten.
Sie drehte sich wieder auf den Rücken, aber der Schmerz nahm zu, strahlte in den linken Arm aus und zwang sie zu einer Grimasse. Nicht weinen, jetzt reiß dich zusammen, verdammt nochmal! Denk an irgendwas, versuch, dich auf irgendetwas zu konzentrieren.
Daheim. Meter für Meter bewegte sie sich durch ihr Elternhaus, erinnerte sich an jede Treppenstufe, das Knacken jeder Diele. Erinnerte sich, wie sich der gewölbte Handgriff der Haustür anfühlte; hörte Mamas und Papas vertraute Stimmen, die durch den Holzfußboden in ihr Zimmer drangen, wenn sie schlafen sollte; wusste wieder, wie der Lichtschalter aus Bakelit in der ehemaligen Mädchenkammer immer zurückglitt, wenn man ihn nicht zweimal herumdrehte.
Und dann das vernichtende Wissen, dass ihr eigener Sohn sich als Erwachsener nie an sein geborgenes Elternhaus würde erinnern können, um seine Angst zu betäuben. Wie viel Energie hatte sie darauf verwendet, das für ihn aufzubauen, was sie selbst gehabt hatte.
Er würde sich kaum daran erinnern können, dass sie jemals eine heile Familie gewesen waren.
Ihr Scheitern war unverzeihlich.
Die Strafe ewig.
Aber sie hatte nicht vor, sie allein zu erdulden.
EVA.
Sie hieß Eva.
Warum hatte sie gelogen?
Wieso war sie mit zu ihm nach Hause gegangen, hatte ihm Einlass in ihren Körper gewährt und ihn dazu gebracht, sie vollständig und ohne Vorbehalt in sein Leben hereinzulassen, warum hatte sie ihm gestattet, sich vor ihr zu entblößen? Er lag auf dem Rücken im Bett und starrte an die Decke, lag in dem Bett, in dem sie sich geliebt hatten. Dort hatte er sie geliebt und sie ihn benutzt, hatte ihn verwendet wie einen Gegenstand. Vollkommen rücksichtslos hatte sie sich in seine Welt hineingedrängt, hatte alles umgeworfen und all die Lust gestohlen, die er unter solchen Mühen eine lange Zeil aufbewahrt hatte.
Sie war eine von denen.
Eine von den Frauen, die seine Familie zerstört und ihm seine Mutter weggenommen hatten.
Die Stärke, die er von ihr zu empfangen geglaubt hatte, verwandelte sich mit den drei Buchstaben in einen offenen Angriffspunkt, ein unbewachtes Loch, das direkt hineinführte in seine tiefste Angst. Die Angst, deren einziger ebenbürtiger Gegenspieler die Kontrolle war. Seine einzige Streitmacht.
Er fühlte den Zwang eindringen wie einen physischen Angriff. Niemand war mehr da, der noch dagegen anzukämpfen bereit war.
Vor wenigen Stunden noch so stark.
Wer war sie, die es wagte, ihm das anzutun?
Die Nummer hatte er bereits im Telefonbuch nachgeschlagen.
Nacka.
Zehn Minuten mit dem Auto.
Aber es gab keine Möglichkeit, die Wohnung zu verlassen.
Als er zum ersten Mal die Nummer wählte, war es 23:44. Er saß nackt auf dem Bett, und das Telefon stand rechtwinklig zur rechten Ecke des Teppichs. Es klingelte zweimal. Und dann ihre Stimme, die der Lüge einen Klang verlieh.
»Eva.«
Sie gab es also zu.
Er legte auf und spürte seinen Zorn wachsen. Und dann ein kurzer Druck auf die Wahlwiederholung.
»Ja.«
Wieder legte er auf. Warum antwortete sie mit Ja, wenn er anrief? Ihre Stimme schnitt durch ihn hindurch, erweckte die vernichtende Begierde zum Leben. Die Erinnerung an ihre Nacktheit zwang sein ganzes Blut in sein Geschlecht hinunter, wo seine Lust anschwoll. Er legte sich auf das Bett, unfähig, sich zu rühren. Wieder war der Trieb ein Feind, der sich höhnisch erhob und ihn angriente.
Du bist nichts wert. Niemand will dich.
Vielleicht schlief er ein paar Stunden, vielleicht nicht.
Als er das nächste Mal anrief, war es sieben Minuten nach sechs.
Er musste ihre Stimme hören.
»Hallo.«
Er
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