Der Selbstversorger (Einzeltitel) (German Edition)
Nachdem ich im ersten Jahr den grundsätzlichen Tagesablauf – Säen, Nachpflanzen, Gießen, Hacken, Ernten, Bodenbearbeitung und das Putzen der Gemüse für den Markt – gemeistert hatte, zog er sich zurück, um sich nur noch mit dem Kompostgeschehen zu befassen. Er meditierte scheinbar ohne Unterbrechung in den Kompost hinein, man könnte sagen, er unternahm astrale Reisen in die dunkle, feuchte Welt des Verrottens und Verwesens. Feinsinnig spürte er den Mysterien der stofflichen Umwandlung nach. Seine Mist- und Kompostmieten verlegte er absichtlich direkt neben sein Wohnhaus: gerade vor die Wohn- und Esszimmerfenster, dort, wo er seinen Sitz am Haupt des Esstisches hatte. Die Fenster hielt er – wenigstens in der warmen Jahreszeit – immer geöffnet. Während er da saß, redete er kaum. Gelegentlich bewegte sich, die würzige Kompostluft schnuppernd, seine rötlich gefärbte Nase. Dabei murmelte er geistesabwesend kaum verständliche Worte, wie „Phosphorprozess“, „Stickstoffprozess“. Selbst Besucher, die sich hin und wieder zum Mittagsessen oder Abendbrot einfanden, konnten ihn nicht von seinen Meditationen abhalten. Das war natürlich peinlich für seine Frau, die sich mit den Gästen unterhalten musste. Wenn sie versuchte, ihn ins Tischgespräch einzubeziehen mit einem: „ Stimmt das nicht, Manfred?“, dann hörte man lediglich ein entferntes: „Ja, Hilde!“, und schon war er wieder weg.
Alles, was dem Gärtnermeister in die Quere kam, wurde kompostiert. Da war zum Beispiel der wertvolle Lodenmantel, den eine Dame beim Besuch aus Versehen liegen gelassen hatte. Als sie ihn drei Wochen später abholen wollte, war das Kleidungsstück von den Kompostbakterien und Strahlenpilzen schon halb verdaut. Er habe gedacht, murmelte er als halbherzige Entschuldigung, der gehörte zum Lumpenhaufen. Wenn irgendein Gemüse zu lange gelagert worden war, sodass man es nicht mehr verkaufen konnte, oder wenn das Heu auf dem Heuboden schimmelte, weil man zu spät das Loch im Dach bemerkt hatte, war das für ihn keine Katastrophe. Er freute sich über das Kompostmaterial.
Er machte eine regelrechte Wissenschaft aus der Kompostierung, legte verschiedene Mistkomposte, Laubkomposte, Rasenschnittkomposte, Erdkomposte und andere an, machte Kräuterjauchen aus Kohl, Beinwell, Brennnessel, Ackerschachtelhalm oder aus vergorenen Kuhfladen und betrieb dazu ein kleines Labor, wo er unter anderem Wachstumstests mit Kresse- und Radieschensamen durchführte. Dabei verglich er, ob und wie schnell die Samen in welcher Erde keimten, ob die Sämlinge gesund waren und in welcher Mondphase der Test erfolgte. Nach zwei Wochen schnitt er die Keimlinge bodeneben ab und wog sie. Das Resultat stellte ihn zufrieden, wenn das Gewicht des Krauts das der Samen um das Zehnfache überstieg.
Der Kompostkreislauf
Auf Grundlage der Kompostierkunst von Manfred Stauffer wurde mein Garten von Jahr zu Jahr ertragreicher. Was ich von diesem Kompostmeister lernte, will ich hier nun weitergeben.
Alles, was entsteht, muss wieder vergehen. Die Natur macht es uns im großen Jahreskreislauf vor. Dem stürmischen Wachstum der Vegetation im Frühling folgt das Blühen und Reifen und dann im spätem Herbst das Welken und Vergehen. So ist es Jahr für Jahr. Als einen unerbittlichen Reigen göttlicher Kräfte, als das Rad des Lebens oder den Atemzug der Erde, so sahen es die alten Völker. Wir sprechen eher prosaisch von dem Aufbau und Abbau der Biomasse. Rund 400 Milliarden Tonnen Biomasse werden pro Jahr von den Pflanzen aufgebaut und ebenso viel wieder von den abbauenden Organismen, den Tieren und Pilzen, abgebaut.
Jede Jahreszeit trägt ihren Teil bei zum ewigen Kreislauf von Auf- und Abbau in der Natur – wunderbar zu beobachten am Komposthaufen im Garten. Jede Pflanze, jedes Tier, jedes Lebewesen ist in diesen Kreislauf sinnvoll eingebunden.
Auf- und Abbauprozesse
Der Vorgang ist Ausdruck der Jahreszeiten, er spiegelt das Verhältnis der Erde zur Sonne. Mit der stärker werdenden Sonneneinstrahlung im aufsteigenden Jahr, wenn also die Tage länger werden, nimmt die Kraft der Pflanzen zu, die Lebensenergie einzufangen und die leblosen Elemente zu beleben. Das Pflanzengrün (Chlorophyll) ist die Antenne, der Empfänger für die Lichtenergie. Mit dieser Energie wird Wasser gespalten und mit Kohlendioxid verbunden; so entsteht das Urmolekül des Lebens, der Traubenzucker. Dieser Zucker ist Grundbaustein für Stärke, Zellulose, Holz (Lignin) und
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