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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Titel: Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert L Stevenson
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Gegenstände in meinem Hause die Ehre, die Gesundheit oder gar das Leben meines phantastischen Kollegen zu beeinflussen? Wenn sein Bote hierher kommen konnte, warum konnte er nicht auch woanders hingehen? Und selbst zugegeben, es bestände dafür ein Hinderungsgrund, warum sollte ich diesen Herrn so heimlich empfangen? Je mehr ich überlegte, desto mehr festigte sich bei mir die Überzeugung, daß ich es mit einem Fall geistiger Verwirrung zu tun hätte, und obwohl ich meine Dienstboten zu Bett schickte, lud ich einen alten Revolver, um mich wenigstens einigermaßen verteidigen zu können. Kaum hatte die Uhr zwölfmal über London geschlagen, als leise von der Haustür her der Klopfer ertönte. Auf diese Aufforderung hin ging ich selbst nach unten und erblickte einen kleinen Mann, der sich eng an den Pfeiler des Portikus drückte.
    »Kommen Sie von Dr. Jekyll?« fragte ich.
    Mit einer gezwungenen Gebärde bejahte er, und als ich ihn bat, näher zu treten, folgte er erst, nachdem er einen forschenden Blick rückwärts auf den dunklen Platz geworfen hatte.
    Nicht weit entfernt war ein Polizist, der mit einer offenen Blendlaterne auf uns zukam. Bei seinem Anblick schien mir mein Besucher zu stutzen und mit größerer Hast hereinzukommen.
    Ich muß offen gestehen, daß mich diese einzelnen Umstände unangenehm berührten, und während ich ihm in das helle Licht des Sprechzimmers folgte, hielt ich meine Waffe schußbereit in der Hand. Hier konnte ich ihn wenigstens deutlich erkennen. Das eine war sicher, ich hatte ihn vorher nie zu Gesicht bekommen. Wie ich schon erwähnte, war er klein. Abgesehen von dem abschreckenden Ausdruck seines Gesichtes fiel mir sofort die sonderbare Verbindung großer Muskelstärke mit scheinbarer Körperschwäche auf und - last, not least - ein seltsames subjektives Mißbehagen, das seine Nähe in mir erregte. Dieses Unbehagen hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem beginnenden Starrkrampf und wurde von einer deutlichen Abnahme des Pulsschlages begleitet. Damals führte ich es auf eine gewisse Idiosynkrasie zurück, einen persönlichen Widerwillen, und wunderte mich nur über die Heftigkeit dieser Symptome. Aber seit jener Zeit hatte ich Grund zu glauben, daß die Ursache viel tiefer in der Natur dieses Mannes begründet lag, und edlere Beweggründe als Haßgefühl dafür anzunehmen.
    Dieser Mensch nun (der vom ersten Moment seines Eintrittes an in mir ein Gefühl erzeugt hatte, das ich nur als eine mit Abscheu gemischte Neugier zu bezeichnen vermag) war in einer Art gekleidet, die einen gewöhnlichen Menschen nur lächerlich hätte erscheinen lassen: Sein Anzug, wenn man von einem Anzug überhaupt sprechen kann, obwohl von reichem, dunklem Stoff, war nach allen Ausmaßen unerhört viel zu groß für ihn - die Beinkleider hingen auf seine Stiefel herab und waren hochgeschlagen, damit sie nicht auf dem Boden schleppten; die Taille des Rockes saß unterhalb der Hüften, und der Kragen hing unordentlich über die Schultern. Seltsamerweise war diese lächerliche Ausrüstung weit davon entfernt, mich zum Lachen zu reizen. Wenn auch etwas Anormales und Mißgestaltetes aus dem innersten Wesen dieses Geschöpfes sprach, das mir hier gegenüberstand etwas, das fesselte, überraschte und empörte -, schien diese äußerliche Disharmonie doch zu dem Ganzen zu passen und seine Wirkung noch zu verstärken, so daß sich meinem Interesse für des Mannes Natur und Charakter noch die Neugier über sein Herkommen, sein Leben, seine Vermögensumstände und seine Stellung in der Welt hinzugesellte.
    Diese verschiedenen Beobachtungen, einen so großen Raum sie auch zu ihrer Niederschrift beanspruchen, waren doch das Werk weniger Sekunden. Mein Besucher begann sofort in düsterer Erregung: »Haben Sie es bekommen? Haben Sie es bekommen?« - und so stark war seine Ungeduld, daß er mich sogar am Arm packte und zu schütteln versuchte. Ich stieß ihn zurück, bewußt eines eisigen Schauers, der bei seiner Berührung durch mein Blut rann.
    »Beruhigen Sie sich, Herr«, sagte ich, »Sie vergessen, daß ich bisher nicht das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft hatte. Bitte nehmen Sie Platz!« Ich ging ihm mit gutem Beispiel voran und ließ mich mit einer möglichst getreuen Nachahmung meiner üblichen Art einem Patienten gegenüber, so gut es die späte Stunde, meine Befangenheit und die Angst, die ich vor meinem Besucher hatte, mir gestatteten, auf meinem gewöhnlichen Platze nieder. »Verzeihen Sie mir, Dr. Lanyon«,

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