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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Titel: Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert L Stevenson
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Nebenstraße führende Tür zu untersuchen. Sie war verschlossen, und dicht daneben auf den Fliesen fanden sie den Schlüssel, bereits mit Rost überzogen.
    »Das sieht nicht nach Gebrauch aus«, bemerkte der Anwalt. »Gebrauch?« echote Poole. »Sehen Sie nicht, Herr, daß er zerbrochen ist, als ob ein Mensch auf ihm herumgetrampelt hätte?«
    »Ja«, fuhr Utterson fort, »und die Bruchstellen sind ebenfalls bereits rostig.«
    Die beiden Männer blickten sich in tödlichem Schrecken an. »Das geht über meinen Verstand, Poole«, sagte der Anwalt, »wir wollen ins Arbeitszimmer zurückgehen.« Schweigend gingen sie die Treppe hinauf, und mit einem gelegentlichen scheuen Seitenblick auf den toten Körper machten sie sich daran, den Inhalt des Kabinetts gründlicher zu durchstöbern. Auf dem einen Tisch bemerkte man Spuren einer chemischen Arbeit; verschiedene abgemessene Haufen eines weißen Salzes lagen auf Glasschälchen da wie zu einem Versuch vorbereitet, an dessen Durchführung der unglückliche Mann verhindert worden war.
    »Das ist die gleiche Droge, die ich ihm immer gebracht habe«, sagte Poole, und gerade, als er sprach, kochte der Kessel mit einem erschreckenden Geräusch über. Dieses veranlaßte sie, zu dem Kamin hinzutreten, wo der Polsterstuhl einladend stand und alles zum Tee bequem zur Hand lag, selbst der Zucker war bereits in der Tasse. Auf einem Bord standen verschiedene Bücher, eines lag aufgeschlagen neben dem Teegerät, und Utterson war tief ergriffen, als er sah, daß es ein religiöses Werk war, für das der Doktor wiederholt große Bewunderung ausgedrückt hatte, und in das, von des Doktors eigener Hand, die scheußlichsten Blasphemien hineingekritzelt waren. Weiter führte der Weg die Sucher bei der Durchforschung des Zimmers zu dem Drehspiegel, in dessen Tiefe sie mit einem unwillkürlichen Schauder blickten. Doch er war so gedreht, daß er ihnen nichts zeigte außer der rötlichen Glut, die an der Decke spielte, dem Feuerschein, der in hundert Wiederholungen von den geschliffenen Rändern des Spiegels widergestrahlt wurde, und ihren eigenen angsterfüllten Gesichtern, die hineinblickten.
    »Dieses Glas hat manch seltsame Dinge gesehen«, flüsterte Poole.
    »Doch sicherlich nicht Seltsameres als sich selbst«, wiederholte der Anwalt im nämlichen Tone, »wozu brauchte Jekyll« - er fuhr bei seinen eigenen Worten erschreckt zusammen, dann, seiner Schwäche Herr werdend: »Wozu mochte ihn Jekyll nur gebrauchen?« fragte er.
    »Ja, wozu nur?« erwiderte Poole.
    Als nächstes wandten sie sich dem Experimentiertische zu. Auf der Platte zwischen den sauber geordneten Papieren lag zuoberst ein großer Briefumschlag, der in des Doktors Hand den Namen Mr. Uttersons trug. Der Anwalt entsiegelte ihn, und mehrere Einlagen fielen auf den Boden. Das erste war ein Testament mit den gleichen exzentrischen Bestimmungen wie jenes, das er ihm vor sechs Monaten zurückgegeben hatte. Es sollte im Falle des Todes als Testament, und im Falle seines Verschwindens als Geschenkurkunde dienen, aber an Stelle des Namens von Edward Hyde las der Anwalt mit unbeschreiblicher Rührung den Namen Gabriel John Utterson. Er blickte auf Poole und dann zurück auf das Schriftstück und endlich auf den toten, auf den Teppich hingestreckten Verbrecher. »Mir dreht sich der Kopf«, sagte er. »All diese Tage hatte er diese Papiere im Besitz gehabt, er hat keine Ursache, mich zu lieben, er muß gerast haben, sich selbst entthront zu sehen, und doch hat er dieses Dokument nicht vernichtet.«
    Er hob das nächste Schriftstück auf. Es war ein kurzer Brief in des Doktors Hand und trug oben das Datum. »Oh, Poole!« rief der Anwalt, »heute lebte er noch und war hier. In so kurzer Zeit kann er nicht vernichtet worden sein. Er muß noch leben, er muß entflohen sein! Aber warum entflohen? Und wie? Und ist das der Fall, wie läßt sich dieser Selbstmord erklären? Oh, wir müssen vorsichtig sein, sonst, fürchte ich, verstricken wir Ihren Herrn noch in irgendeine furchtbare Katastrophe.«
    »Warum lesen Sie's nicht, Herr?« fragte Poole.
    »Weil ich Angst habe!« erwiderte der Anwalt feierlich. »Gott gebe es, daß sie grundlos sei.« Mit diesen Worten nahm er den Brief auf und las folgendes:
    Mein lieber Utterson! Wenn dieses Schreiben in Deine Hand fällt, werde ich verschwunden sein. Unter welchen Umständen, habe ich nicht die Möglichkeit vorauszusehen. Aber mein Instinkt und sämtliche Einzelheiten meiner nicht zu beschreibenden

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