Der seltsame Mr Quin
Sie, das muss vor vierzehn Jahren gewesen sein«, sagte Mr Sattersway. »Seit damals ist das Haus zugesperrt.«
»Das wundert mich wirklich nicht«, sagte Monckton. »Für die junge Frau muss es ein fürchterlicher Schock gewesen sein. Einen Monat waren sie gerade verheiratet und kurz vorher aus den Flitterwochen zurückgekommen. Ein großer Kostümball, um ihre Heimkehr zu feiern. Und ausgerechnet als die ersten Gäste eintrafen, schloss Charnley sich im Eichenzimmer ein und erschoss sich. So etwas tut man nicht… Wie meinen Sie?«
Er wandte den Kopf scharf nach links und blickte dann Mr Sattersway an, dabei lachte er verlegen.
»Langsam macht sich bei mir das Alter bemerkbar, Sattersway. Eben habe ich tatsächlich geglaubt, jemand säße auf dem leeren Stuhl und hätte etwas zu mir gesagt!« Er schwieg nachdenklich.
»Ja«, fuhr er dann fort, »für Alix Charnley war es ein ziemlicher Schock. Sie war damals eines der hübschesten Mädchen, die man sich vorstellen kann, und platzte förmlich vor dem, was die Leute Lebensfreude nennen. Heute soll sie wie ein Geist aussehen. Ich bin ihr seit Jahren nicht mehr begegnet. Ich glaube, sie lebt meistens im Ausland.«
»Und ihr Sohn?«
»Der Junge ist in Eton. Was er machen wird, wenn er alt genug ist, weiß ich nicht. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass er wieder in das Haus zieht.«
»Immerhin könnte es einen ganz hübschen Vergnügungspark abgeben«, sagte Bristow.
Oberst Monckton blickte ihn mit kalter Verachtung an.
»Ach, das kann nicht Ihr Ernst sein«, sagte Mr Sattersway. »Dann hätten Sie nämlich dieses Bild nicht gemalt. Tradition und Atmosphäre sind unfassbare Dinge. Zu ihrem Entstehen braucht es Generationen, und wenn man sie zerstört, kann man sie nicht binnen vierundzwanzig Stunden wieder herbeischaffen.«
Er erhob sich. »Gehen wir ins Rauchzimmer hinüber. Ich habe ein paar Aufnahmen von Charnley aufgehoben, die ich Ihnen gern zeigen möchte.«
Zu Mr Sattersways Steckenpferden gehörte das Fotografieren. Außerdem war er der stolze Verfasser eines Buches: Die Heime meiner Freunde. Die infrage kommenden Freunde waren ausnahmslos ziemlich exaltiert, und das Buch zeigte Mr Sattersway in einem snobistischen Licht, das ihm nicht ganz gerecht wurde.
»Das hier ist eine Aufnahme vom Terrassenzimmer, die ich letztes Jahr machte«, sagte er. Er reichte sie Bristow. »Sie sehen, dass die Aufnahme fast denselben Bildausschnitt zeigt wie Ihr Aquarell. Der Teppich ist ein wunderbares Stück – ein Jammer, dass die Farben nicht so herauskommen.«
»Ich kann mich noch daran erinnern«, sagte Bristow. »Hinreißende Farben. Wie Feuer glühten sie. Trotzdem wirkte er ein bisschen unpassend. Schon die Größe passte nicht zu dem Raum mit den schwarzen und weißen Quadraten. Sonst liegt kein Teppich in diesem Raum. Er zerstört die ganze Wirkung – wie ein riesiger Blutfleck sah er aus.«
»Sind Sie vielleicht dadurch auf den Einfall gebracht worden, das Bild zu malen?«, fragte Mr Sattersway.
»Vielleicht«, sagte Bristow nachdenklich. »Wenn man diesen Teppich sieht, kommt man ganz von selbst auf die Idee, dass sich in dem kleinen getäfelten Zimmer, das nebenan liegt, eine Tragödie abgespielt hat.«
»Das Eichenzimmer«, sagte Monckton. »Ja, das ist das Spukzimmer. Übrigens existiert dort auch ein Priesterversteck, hinter einer verschiebbaren Täfelung neben dem Kamin. Die Überlieferung behauptet, Charles I. hätte sich dort einmal versteckt. Außerdem hat es in diesem Zimmer bei Duellen zwei Tote gegeben. Und schließlich hat sich, wie ich schon sagte, Reggie Charnley dort erschossen.«
Er nahm Bristow die Aufnahme aus der Hand.
»Das ist übrigens der Buchara«, sagte er, »ein Teppich, der meiner Ansicht nach ein paar tausend Pfund wert ist. Als ich damals dort war, lag er jedoch im Eichenzimmer, wo er auch hinpasste. Auf dieser großen Marmorfläche wirkt er fast lächerlich.«
Mr Sattersway betrachtete den leeren Sessel, den er neben den seinen gezogen hatte. Dann sagte er nachdenklich. »Ich möchte nur wissen, wann er dort hingelegt worden ist.«
»Das muss erst später geschehen sein. Richtig – ich erinnere mich an eine Unterhaltung mit Charnley, und zwar genau am Tag der Tragödie. Charnley meinte damals, an sich gehöre der Teppich hinter Glas.«
Mr Sattersway schüttelte den Kopf: »Das Haus wurde unmittelbar nach der Tragödie zugesperrt, und alles wurde genauso belassen, wie es damals war.«
Hier fiel Bristow mit
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