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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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einer Frage ein. Seine aggressive Art hatte er völlig abgelegt. »Warum hat Lord Charnley sich eigentlich erschossen?«, fragte er.
    Monckton bewegte sich unbehaglich in seinem Sessel.
    »Das weiß kein Mensch«, sagte er unsicher.
    »Ich nehme an«, antwortete Mr Sattersway langsam, »dass es tatsächlich Selbstmord war.«
    Der Oberst blickte ihn völlig verblüfft an.
    »Selbstmord«, sagte er, »selbstverständlich war es Selbstmord! Mein lieber Freund, ich hielt mich damals selbst im Hause auf.«
    Mr Sattersway blickte den leeren Sessel an, der neben ihm stand, und lächelte dann vor sich hin, als hätte ein Unsichtbarer einen Witz gemacht. Dann sagte er: »Manchmal erkennt man gewisse Dinge später sehr viel deutlicher als im Augenblick ihres Geschehens.«
    »Unsinn«, rief Monckton. »Reiner Unsinn! Wie können Sie etwas klarer erkennen, wenn es nicht mehr deutlich und scharf, sondern in der Erinnerung leicht verschwommen geworden ist?«
    Mr Sattersway erhielt jedoch von unerwarteter Seite Unterstützung. »Ich weiß, was Sie meinen«, sagte der Maler. »Und ich finde, dass Sie Recht haben. Es ist eine Frage der Proportion, nicht? Und wahrscheinlich sogar mehr als nur der Proportion. Der Relativität und wie man es sonst noch nennt.«
    »Wenn Sie mich fragen«, sagte der Oberst, »ich halte diese ganzen einsteinschen Sachen für Unsinn! Genauso wie Spiritisten und spukende Großmütter!« Wütend blickte er sich um. »Natürlich war es Selbstmord!«, fuhr er fort. »Habe ich denn nicht praktisch mit eigenen Augen gesehen, wie es passierte?«
    »Erzählen Sie doch«, sagte Mr Sattersway. Mit einem leicht besänftigten Knurren machte es sich der Oberst in seinem Sessel noch bequemer.
    »Das Ganze kam vollkommen unerwartet«, begann er. »Charnley war den ganzen Tag über wie immer gewesen. Wegen des Maskenballs waren eine Menge Gäste im Haus. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dass er sich in dem Augenblick erschießt, in dem die ersten Gäste erscheinen.«
    »Geschmackvoller wäre es gewesen, wenn er damit gewartet hätte, bis sie wieder gegangen waren«, sagte Mr Sattersway.
    »Natürlich wäre es das gewesen! Verdammt geschmacklos, so etwas überhaupt zu tun.«
    »Und ganz uncharakteristisch«, sagte Mr Sattersway.
    »Ja«, gab Monckton zu. »So etwas sah Charnley gar nicht ähnlich.«
    »Und trotzdem war es Selbstmord?«
    »Natürlich! Wir standen nämlich gerade zu dritt oder viert oben auf der Treppe: ich selbst, dann die kleine Ostrander, Algie Darcy – na ja, und vielleicht noch zwei andere. Charnley ging unten durch die Diele und verschwand im Eichenzimmer. Die kleine Ostrander hat später gesagt, sein Gesicht habe einen gespenstischen Ausdruck gehabt und seine Augen seien ganz starr gewesen, aber das ist natürlich Unsinn, denn von unserem Platz aus konnte sie das Gesicht gar nicht sehen. Aber irgendwie ging er in einer etwas gebückten Haltung, als laste das Gewicht der ganzen Welt auf seinen Schultern. Eine Frau rief ihm etwas nach, ich glaube, es war die Gouvernante irgendwelcher Leute, die Lady Charnley aus purer Freundlichkeit eingeladen hatte. Sie suchte ihn, um ihm irgendetwas auszurichten. Sie rief: ›Lord Charnley, Lady Charnley möchte wissen…‹ Er kümmerte sich jedoch gar nicht darum, sondern verschwand im Eichenzimmer, schlug die Tür hinter sich zu, und dann hörten wir, wie er von drinnen abschloss. Und eine Minute danach hörten wir den Schuss.
    Wir rannten in die Diele hinunter. Das Eichenzimmer hat noch eine zweite Tür, die in das Terrassenzimmer führt. Wir versuchten, durch diese Tür hineinzukommen, aber sie war ebenfalls abgeschlossen. Schließlich mussten wir die Tür aufbrechen. Charnley lag auf dem Boden – tot, eine Pistole dicht neben seiner rechten Hand. Was konnte es schon anderes sein als Selbstmord? Ein Unfall? Das war ausgeschlossen. Es gab nur eine andere Möglichkeit: Mord. Aber Mord ohne Mörder gibt es nicht. Das müssen Sie zugeben.«
    »Der Mörder könnte immerhin geflohen sein«, meinte Mr Sattersway.
    »Das ist unmöglich. Wenn Sie ein Stück Papier und einen Bleistift haben, will ich Ihnen gern den Grundriss des Zimmers aufzeichnen. Zwei Türen führten in das Eichenzimmer, die eine von der Diele, die Zweite vom Terrassenzimmer aus. Aber beide Türen waren von innen abgeschlossen, und die Schlüssel steckten.«
    »Und das Fenster?«
    »War geschlossen, und die Läden auch.«
    Es folgte eine Pause.
    »So sieht es also aus«, sagte Monckton

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