Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Serienmörder von Paris (German Edition)

Der Serienmörder von Paris (German Edition)

Titel: Der Serienmörder von Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David King
Vom Netzwerk:
grauem Haar. Ihm war erst vor sechs Wochen der Fall zugeteilt worden, da einige hochrangigere Staatsanwälte abgelehnt hatten und sein Vorgänger das Amt ohne erfindlichen Grund niedergelegt hatte. Sein Assistent, der 31-jährige Maître Michel Elissalde, musste dem Prozess die Flitterwochen opfern. In seiner Wohnung stapelten sich die Akten, Blätter bedeckten den Boden, und die arme Frischvermählte musste sich ständig Argumente und Gegenargumente anhören.
    Im rechten Winkel zur Staatsanwaltschaft stand der Tisch der Verteidigung, deren Vorsitz der gefeierte 44-jährige Rechtsanwalt Maître René Floriot übernahm, der in einer schwarzen Robe und mit einem modischen weißen Halstuch vor Gericht erschien. Er trug die für ihn typische Hornbrille mit runden Gläsern und einer bräunlich gesprenkelten Fassung. Das nach hinten gegelte Haar war bis über die Ohren kurz geschnitten und mit einem Seitenscheitel nach links gekämmt. Vier junge Verteidiger standen ihm zu Seite: Eugène Ayache, Paul Cousin, Pierre Jacquet und Charles Libman. Jeder von ihnen hatte während der 18-monatigen Vorbereitung auf den Fall ein Viertel des Dossiers bearbeitet. Da ihre Frisuren denen des Vorgesetzten ähnelten, nannte man sie schon bald die „Floriot-Jungs“.
    Darüber hinaus fanden sich neun zivilrechtliche Anwälte ein, da die Familien der Opfer nach dem französischen Gesetz Anwälte bestellen durften, die sie während des Kriminalprozesses als Nebenankläger vertraten. Wie auch der Staatsanwalt nahmen sie die Zeugen und den Angeklagten ins Kreuzverhör. Die Familien Khaït, Braunberger, Guschinow, Kneller, Wolff, Basch und Dreyfus hatten von ihrem Recht Gebrauch gemacht, ebenso die Angehörigen von Paulette Grippay und Gisèle Rossmy. Maître Pierre Véron war der populärste Anwalt unter ihnen. Der hochdekorierte Résistance-Kämpfer vertrat die Familien Khaït und Dreyfus. Paulette Dreyfus hatte noch einen zusätzlichen Anwalt berufen, nämlich ihren Schwager Maître Pierre-Léon Rein.
    Um 13.50 Uhr öffnete sich die kleine Tür im hinteren Teil des Saals, durch die die Angeklagten das Gericht wie immer betraten. Dr. Petiot trug über seinem blau-grauen Anzug mit lavendelfarbenen Nadelstreifen und einer purpurroten Fliege einen grauen Übermantel. Man hatte ihm nur wenige Minuten zuvor die Handschellen auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin abgenommen. Schärfste Sicherheitsvorkehrungen waren getroffen worden. Zwei Gerichtswachen, jede hielt ein Maschinengewehr im Anschlag, begleiteten den Arzt zur Anklagebank, die sich – ebenso wie die Richter – vom Saal aus gesehen auf einer erhöhten Ebene befand. Davor saß die Verteidigung. Weitere Wachen mit Stahlhelmen standen im Saal oder warteten in ständiger Alarmbereitschaft davor.
    Petiot lächelte in Richtung der Geschworenen und der Zuschauer. Auf einen Journalisten wirkte er wie ein Schauspieler, ein Künstler oder ein Pianist, ein Kollege beschrieb ihn bissig als des „Teufels Poet“. Petiots dunkle, „stechende und durchdringende Augen“ ließen sogar den abgehärteten Forensiker Professor René Piédelièvre erschauern.
    Sich bewusst, dass er im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, zog der Arzt langsam den Mantel aus, faltete ihn sorgfältig und platzierte ihn auf das neben ihm liegende Dossier. Dann – offensichtlich gefiel ihm das Ergebnis nicht – schüttelte er den Mantel aus und faltete ihn ein zweites Mal mit akribischer Sorgfalt. Als Nächstes rückte er die Fliege zurecht. Die Menge hing wie gebannt an jeder seiner Bewegungen. Das Spektakel konnte beginnen.
    Man hörte das Klicken der Fotoapparate, die den Saal in ein gleißendes Lichtermeer verwandelten. Der Angeklagte hob zuerst die Hände, um nicht geblendet zu werden, gab dann aber nach und drehte den Kopf in der von ihm favorisierten Position den Journalisten entgegen. „Meine Herren, das reicht jetzt aber“, sagte Petiot schließlich. Er warf einen Blick über den bis auf den letzten Platz gefüllten Gerichtssaal und suchte nach seiner Frau, dem Sohn und dem Bruder, die natürlich alle dem Prozess beiwohnten, wie auch die drei Witwen und die wenigen überlebenden Familienmitglieder der mutmaßlichen Opfer.
    Der Gerichtsschreiber verlas danach die Anklageschrift, in der Marcel Petiot 27 Fälle des „willentlichen Mordes … [beschuldigt wurde], vorsätzlich mit böswilliger Absicht begangen, zum Zweck der Gewährleistung und Ermöglichung einer betrügerischen Aneignung der Kleidung, persönlicher

Weitere Kostenlose Bücher