Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Sueur?“
„Ich habe mich dazu entschieden, Fragen nur noch in der Öffentlichkeit zu beantworten.“
„Und aus welchem Grund?“, wollte Gollety wissen, der daraufhin zur Frage nach dem Kauf des Hauses zurückkehrte.
„Verzeichnen Sie ein ‚dito‘, dann kommen wir schneller voran.“
Gollety erschien am 28. Dezember mit einem langen Fragenkatalog von 48 Seiten. Petiot verweigerte aber weiterhin die Aussage.
Im folgenden Monat schickte Gollety in Übereinstimmung mit dem französischen Kriminalstrafrecht ein fast aus allen Nähten platzendes Dossier, das ca. 50 Kilogramm wog. Wie er vermerkte, gebe es hinreichend Beweise, um den Fall Petiot zur Anklage zu bringen.
In Bezug auf die mutmaßlichen Komplizen, darunter Georgette Petiot, Maurice Petiot, René Nézondet, Albert und Simone Neuhausen, Raoul Fourrier, Edmond Pintard, Roland Porchon und Eryane Kahan, teilte man nun von offizieller Seite mit, dass alle Anschuldigungen fallengelassen würden. Es lägen nicht genügend Beweise vor, um sie strafrechtlich zu verfolgen. Maître Michel Elissalde, der zukünftige Assistent der Anklage, kommentierte das wie folgt: „Eines ist sicher: Auch wenn die Justiz diese Personen nicht belangen kann, wird ihr Name und der erbärmliche Ruf, der ihnen vorauseilt, ihr Leben nachträglich beeinflussen und eine ewige Quelle der Scham sein, es sei denn, Petiots amoralische Kaltherzigkeit hat über sie triumphiert.“
Die französische Staatsanwaltschaft konzentrierte sich von nun an einzig und allein auf Marcel Petiot. Der Verdächtigte hatte mutmaßlich 27 Menschen umgebracht. Die Akten wurden nun dem Oberstaatsanwalt übergeben, der die Anklageerhebung einleitete.
DIEJENIGEN UNTER IHNEN, DIE SICH AMÜSIEREN MÖCHTEN, SOLLTEN SICH SCHLEUNIGST INS THEATER BEGEBEN.
(Marcel Leser)
A m 18. März 1946, einem kühlen Frühlingsmorgen, drängten sich 400 Zuschauer und 100 Journalisten im Saal des Schwurgerichts im Palais de Justice auf der Île de la Cité. Jeder war wie versessen darauf, den Mann zu sehen, der des Mordes an 27 Personen angeklagt wurde, die Menschen in kleine Stücke zerhackt, ihre inneren Organe in der Kanalisation entsorgt und die verbleibenden Überreste in eine Löschkalkgrube geworfen oder sie im Kellerofen verbrannt hatte und während der ganzen Zeit ein unschätzbares Vermögen zusammenraffte. Wie die Washington Post berichtete, stand „der aufsehenerregendste Kriminalprozess der modernen französischen Geschichte“ bevor.
Wie bei der Premiere eines Theaterstücks scharten sich Schauspieler, Filmstars und Damen aus der Welt der oberen Zehntausend vor dem Gerichtssaal. Sie trugen Turban-ähnliche Kopfbedeckungen, damals der letzte Schrei, oder modische kleine Hüte, mit Federn geschmückt. Viele Pariser fuchtelten mit Fern- oder Operngläsern in der Luft herum, das aufregende Finale eines sehr makaberen Falls erwartend. In der Luft hing der süßliche Geruch von Parfüm. Vor dem Gebäude versuchten Straßenverkäufer, Souvenirs in einer Atmosphäre zu verkaufen, die zunehmend einem Karneval glich. Die Beweise der Anklage mit einem Gewicht von mehr als einer Tonne nahmen eine ganze Wand des Gerichtssaals ein. All die Pakete, Schrankkoffer, Standardkoffer und sonstigen Gepäckstücke vermittelten das Flair eines Bahnhofs. Darüber hinaus standen dort noch Glasbehälter mit in der Rue Le Sueur gefundenen Gegenständen, die von einem Regenschirm bis hin zum Reifen eines Fahrrads reichten.
In der Mitte des langen und erhöht stehenden Gerichtspultes saß der Vorsitzende des Tribunals, der 57-jährige Marcel Leser, gekleidet in eine lange scharlachrote Robe, besetzt mit Hermelin. Er leitete den Prozess und führte in Übereinstimmung mit dem französischen Gesetz die einleitende Befragung durch. Ihn flankierend hatten zwei Richter als Beisitzer Platz genommen, die an der Beratung der Geschworenen teilnahmen und auch hinsichtlich des Urteilsspruchs abstimmten. Diese Praxis sollte die juristische Expertise während der Urteilsfindung der Geschworenen sichern, obwohl sie gleichzeitig bedeutete, dass der Staat einen nennenswerten Einfluss auf das Resultat ausüben konnte. 1946 bestand eine Geschworenen-Jury aus sieben Mitgliedern, die nach dem Gesetz alle männlich sein mussten. Um zu einem Urteil zu gelangen, reichte eine Zweidrittel-Mehrheit aus.
Unmittelbar zur Rechten der beisitzenden Richter saß der Hauptankläger der Staatsanwaltschaft, Avocat Général Pierre Dupin, ein dünner Mann mit schütterem,
Weitere Kostenlose Bücher