Der Serienmörder von Paris (German Edition)
die Staatsanwaltschaft wegen der Handhabung von Beweisstücken, die offiziell unter Verschluss standen.
„Ich hätte mir gewünscht, den Lumvisor vorzufinden“, meinte Petiot, denn so hätte er die Funktionsweise erklären können. Dann drehte er sich zu einem Geschworenen um, der sich durch die plötzliche Aufmerksamkeit des Angeklagten deutlich unwohl fühlte, und bot an, die Funktionsweise des Okulars zu erläutern. Es sei kein Periskop gewesen, sondern „eine Art Teleskop“, das ihm erlaubt habe, einen bestimmten Abschnitt des Raums von außen zu betrachten: „Exakt dort, wo Monsieur le Président nun steht.“ Der Spion habe ihm eine ideale Überwachung der für die Strahlentherapie benötigten medizinischen Geräte ermöglicht, die er in dem Raum habe installieren wollen.
Einer der Geschworenen fragte, warum er denn die Linse mit einer Tapete verdeckt habe, wenn er sie doch für medizinische Zwecke einsetzen wollte. Petiot erwiderte, das er den Raum habe tapezieren lassen, wobei einem der Arbeiter der Fehler unterlaufen sei, den Lumvisor zu überdecken. Ein anderer Geschworener stellte die Frage, ob man den kleinen Raum nicht als Zelle habe nutzen können.
Voller Sarkasmus antwortete Petiot, es sei unmöglich, einen Menschen „in dem kleinen Loch“ gefangen zu halten, ganz davon zu schweigen, ihn zu töten. Er drehte sich zu Président Leser und fragte: „Können Sie mir vielleicht erklären, wie man hier einen Menschen umbringen kann?“
Einer der Geschworenen wies darauf hin, dass ein Mord auch an einem kleineren Ort begangen werden könne, wie zum Beispiel dem LKW, den, laut Petiot, seine Organisation Fly-Tox benutzt habe.
Dem Arzt riss der Geduldsfaden: „Oh, anscheinend kann man überall töten, oder nicht?“ Er habe zugegeben, Menschen exekutiert zu haben. Was mache es denn für einen Unterschied, wo das geschehen war? „Mit solchen Geschichten stehen wir Franzosen vor der Welt wie Idioten da.“
Dennoch wies man darauf hin, dass die Wände dick genug seien, um Hilferufe nach außen hin abzuschirmen. Petiot erklärte die dicken, schallsicheren Mauern als Schutzmaßnahme gegen die Strahlung seiner Therapie-Vorrichtungen. Natürlich hätte er Blei benutzen können, doch das Material sei in Kriegszeiten kaum erhältlich gewesen. Merkwürdigerweise stellte ihm niemand die Frage, warum er nicht auf geeigneteres Material gewartet habe, da er das Klinikum doch erst nach dem Krieg eröffnen wollte. Während der Tatortbegehung sah Petiot zeitweise blass aus. Zweimal verlor er die Balance und musste sich an einem Handlauf festhalten und sich auf Floriots Schulter abstützen.
Nachdem die Anwesenden den Innenhof verlassen hatten und in die Garage gegangen waren, geriet Petiot erneut ins Straucheln. Dieses Mal stand er am Rande der Löschkalkgrube. Einige Journalisten berichteten über den Zwischenfall und ihren Eindruck, dass der Arzt nun letztendlich das ungeheure Ausmaß seiner Gräueltaten realisierte. Ein anderer Reporter interpretierte es lediglich als Schauspielerei.
Wahrscheinlicher lässt sich die Unsicherheit damit erklären, dass Petiot wegen seiner mangelhaften Ernährung an Schwindel litt. Der Schweizer Journalist Edmond Dubois beobachtete, dass der Angeklagte fast den ganzen Tag kaum etwas zu sich genommen hatte oder genauer gesagt, die letzten fünf Tage, also seit Prozessbeginn. Man holte Petiot vor dem Frühstück aus dem Gefängnis ab und brachte ihn nach dem Abendessen wieder in die Zelle. Er hielt sich lediglich mit einem kleinen Teller Suppe und einer Brotscheibe über Wasser.
Danach stand die Besichtigung des Kellers auf der Tagesordnung. Professor Sannié wies im Stil eines Reiseführers auf die Fundorte der Beweise hin und beschrieb darüber hinaus den Zustand. „Hier, an der ersten Stufe, fand ich diverse Leichenteile. In der Nähe der beiden Öfen, die Sie hier sehen, lag die Hälfte eines in der Mitte geöffneten Körpers. In dem größeren Ofen lagen menschliche Überreste, die brannten.“
Sannié erwähnte auch die Tasche mit „einer halben Leiche“ abseits der Treppe.
Petiot unterbrach den Experten, damit dieser bestätigte, dass es sich hierbei um einen deutschen Militärsack gehandelt habe.
Sannié dachte, es sei ein Zementsack gewesen.
„Der Sack ist doch versiegelt worden, oder?“ fragte Floriot.
Sannié schwieg.
„Das ist doch wirklich ungeheuerlich!“, erregte sich der Verteidiger.
Die Staatsanwaltschaft war mit der Tatortbegehung einige Risiken
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