Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Überzeugung, dass man den Mann als Opfer Nummer 28 in die Liste eintragen müsse.
Trotz des von Petiot vermittelten Eindrucks gehörte der Mann nicht zu seinen Opfern. Charles Lombard oder „Paul, der Schöne“ war aus Frankreich geflohen, wo man ihn der „Spionage für den Feind“ bezichtigte.
„Die Ermittlung wurde sehr hastig durchgeführt, Inspektor“, provozierte Floriot.
„Mir stehen nicht Dutzende von Sekretären zur Verfügung, die meine Arbeit vorbereiten, Maître“, entgegnete Battut und warf einen Blick auf die versammelte Verteidigung, bestehend aus den „Floriot-Jungs“ und zahlreichen Assistenten. Das Publikum vermerkte den Kommentar mit Wohlwollen.
„Ihnen unterstehen doch ein Dutzend Inspektoren“, parierte Floriot.
„Würden Sie uns vielleicht verraten“, unterbrach Petiot, „wie viele Patrioten Sie verhafteten, damit sie von den Deutschen erschossen würden?“
Inspektor Battut warf dem Angeklagten einen stechenden und lang anhaltenden Blick zu.
„Natürlich“, nahm der Arzt Battut das Wort aus dem Mund. „Natürlich waren es so viele, dass Sie die Übersicht verloren haben.“
„Und wer ist hier bitte der Kriminelle?“, fuhr Véron dazwischen.
In schneller Abfolge traten an dem Nachmittag drei weitere Polizeiinspektoren in den Zeugenstand, um zu belegen, dass während der gesamten Ermittlung kein Hinweis aufgetaucht war, der auf eine Zusammenarbeit Petiots mit der Résistance hindeutete. Capitaine Henri Boris, selbst ein Veteran des Widerstands, bestätigte, dass die Gruppe Fly-Tox „unter den Kämpfenden Frankreichs vollkommen unbekannt war“. Petiot versuchte die Aussage abzublocken und argumentierte, dass seine Kameraden unabhängig von den von London aus koordinierten Gruppen agiert hätten.
Nach Jean Hotins zu vernachlässigender Zeugenaussage, die bis auf einige unfreiwillig erheiternde Momente nichts zum Prozessverlauf beitrug, machte Capitaine Urbain Gouraud, ein ehemaliger Beamter der Polizeistation in Villeneuve-sur-Yonne, seine Aussage. Er nannte Petiot „einen Abenteurer ohne jegliche Skrupel“ und prahlte damit, ihm sieben Strafzettel ausgestellt zu haben. Er erzählte zudem von den Verdächtigungen, dass Petiot die frühere Geliebte Louisette Delaveau getötet haben soll.
Floriot wies auf ein mit der Aussage einhergehendes Problem hin: „Wissen Sie, wie viele andere ihm bekannte Personen er für schuldig erklärte, bevor er Petiot den Mord anlastete? … Neun, meine Herren, neun! Wäre die Akte nicht geschlossen worden, hätte er die komplette Stadt beschuldigt.“
Am Ende der ersten Prozesswochen erschien die Polizeiermittlung in einem denkbar ungünstigen Licht. Sie wirkte stümperhaft, übereilt durchgeführt und durchsetzt mit Fehlern und Lücken. Auch die Staatsanwaltschaft erweckte mit dem 30 Kilogramm schweren Dossier einen unglückseligen Eindruck. Der Schweizer Journalist Edmond Dubois fasste die seltsame Dichotomie zusammen: Während „die Pariser Zeitungen Petiot weiterhin als ein Monster darstellen und das provozierende Foto mit den stechenden Augen abdrucken, spiegeln die in den Korridoren des Justizpalastes geführten Gespräche alles andere als eine eindeutige und klar umrissene Meinung wider“.
Nach einer willkommenen Ruhepause am Sonntag begann der siebte Prozesstag am Montag, dem 25. März. Zuerst betrat die Witwe von Renée Guschinow den Zeugenstand, eine kleine, junge blonde Frau in schwarzer Kleidung, das Gesicht von einem Trauerschleier verdeckt. Sie wirkte „dünn wie ein zusammengefalteter Regenschirm“, bemerkte ein Journalist. Mit bebender Stimme erläuterte sie die Gründe für die Entscheidung ihres Mannes, aus Paris zu flüchten, und erzählte, wie Dr. Petiot ihn in die Rue Le Sueur eingeladen habe, um die Route nach Argentinien zu besprechen.
Guschinows Anwalt Maître Archevêque drehte sich zu Petiot und fragte ihn, warum er den Fluchtwilligen in die Rue Le Sueur eingeladen habe, wenn er doch Patient in der Rue Caumartin gewesen war.
Der Arzt entgegnete, dass er die Flucht nicht in einem Haus habe organisieren können, in dem seine Frau lebte, eine Concierge für Ordnung sorgte und sich darüber hinaus die Praxis befand. Mit beißendem Sarkasmus meinte Petiot, er würde das Gericht gerne in sein Appartement einladen, müsse sich das aber genau überlegen, da die Juristen in der Rue Le Sueur für so viel Unordnung gesorgt hätten.
„Sie sind sehr intelligent“, bemerkte Archevêque.
„Wissen Sie, Maître,
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