Der Serienmörder von Paris (German Edition)
bei sich getragen habe, und unterstrichen hatte, dass es sich bei den bei Petiot gefundenen Pelzen sicherlich nicht um Geschenke gehandelt habe, griff Floriot an. Er erkundigte sich, ob eine vom Gericht ernannte Kommission nach Buenos Aires geschickt worden sei, um nach Guschinow zu suchen.
Da Dupin ausweichend antwortete, unterstrich Floriot die Tatsache, dass der Strafverfolgung genügend Zeit zur Verfügung gestanden habe, um Guschinows Aufenthaltsort zu klären. Offenbar habe sie sich vor diesem leicht zu erbringenden Beweis aber gedrückt. Der Verteidiger zeigte sich unnachgiebig. Leser versprach, dass das Gericht „ein Telegramm“ schicken werde.
„Niemand ist tot oder wird vermisst“, begann Floriot weitere Ausführungen, wurde dann aber vom Lachen des Publikums unterbrochen. Erst in dem Moment erkannte er, wie seine Wortwahl auf die Anwesenden gewirkt haben musste.
„Im Fall Guschinow gibt es weder einen Toten noch einen Vermissten“, korrigierte sich der Jurist. „Wir müssen die Antworten zuerst in Argentinien suchen.“
An dem Tag wurde auch noch einer der interessanteren Zeugen vernommen. Michel Cadoret de l’Epinguen, ein 33-jähriger Innenarchitekt, zählte zu den weniger bekannten Personen, die mithilfe von Dr. Eugène flüchten wollten, doch er hatte sich zurückgezogen, nachdem man ihm schon Zutritt zur Organisation gewährt hatte. Er hatte Paris mit seiner Frau und dem Sohn im Juli 1943 über ein anderes Untergrundnetzwerk verlassen. Die Familie war nach der Befreiung in die Stadt zurückgekehrt und hatte herausgefunden, dass sie auf der Liste von Petiots Opfern stand. Cadoret de l’Epinguens Schilderung erwies sich als sehr wertvoll.
Dem Zeugen war Petiot von Robert Malfet empfohlen worden, einem Chauffeur, den man nach der Befreiung verhaftet hatte. Er besaß 300.000 Francs, ein kleines Vermögen in Juwelen und neben Pelzmänteln und Kleidungsstücken, die ihm nicht passten, eine Sammlung von 55 Zeitungsartikeln über den Fall Petiot.
Laut Zeugen hatte Malfet ihm schon das ganze Prozedere verraten – die Aneignung falscher Papiere, den Aufenthalt in einem Stadthaus, das der Organisation gehöre, und die Notwendigkeit von Impfungen zur Einreise in Argentinien. Durch diese Injektionen werde man laut Petiot „zu Unsichtbaren für die Augen der Welt“.
Petiot lachte gekünstelt: „Die Geschichte vom wahnsinnigen Arzt mit der Spritze. Es war eine dunkle und regnerische Nacht. Der Wind heulte unter dem Dachvorsprung und rüttelte an den Jalousien der mit Eichen-Paneelen ausgekleideten Bibliothek.“
Leser wies ihn zurecht. „Petiot, ich möchte mal bitten.“
Cadoret und seine Frau, eine Psychologin, zeigten sich skeptisch gegenüber den benötigten Papieren und Injektionen. Auch beunruhigte sie Petiots fundiertes Wissen über halluzinogene Drogen wie Peyote. Der Arzt schien unter dem Einfluss der Drogen zu stehen, ebenso wie auch die Frau, die Cadoret als „seine Sekretärin Eryane“ bezeichnete. 1943 hatte es nur eine Frau in Petiots Nähe gegeben, die den Namen getragen hatte: Eryane Kahan, die mutmaßlich für neun Kunden gesorgt hatte und schon bald selbst im Zeugenstand gesessen war.
Wie Cadoret im Dezember 1944 der Polizei berichtet hatte, hätten sich er und seine Frau mit Kahan getroffen. Auf dem Weg zum Friseursalon seien die drei einer Reihe von deutschen Soldaten begegnet, die Kahan salutiert und einige Worte in Deutsch mit ihr gewechselt hätten, was die beiden mehr als beunruhigt habe. Petiots vage Antworten und die Tatsache, dass er keine befriedigende Antwort über den Ort der Abreise und den Ankunftsort in Argentinien habe geben können, hätten ihr mulmiges Gefühl bestärkt. Doch noch etwas anderes habe die beiden an dem Erscheinungsbild gestört: „Er hatte Dreck unter den Fingernägeln, was für einen Doktor höchst ungewöhnlich war.“ Petiot musste wieder einmal lachen.
Darüber hinaus verwunderte es die Zeugen, dass ein angebliches Résistance-Mitglied, das eine Hilfsorganisation leitete, 50.000 Francs für sicheres Geleit aus dem Land verlangte.
Petiot fragte, ob die Summe nicht zuerst bei 90.000 Francs gelegen habe.
Cadoret konnte sich nicht erinnern.
„Das ist aber wichtig“, meinte Petiot in einem höhnischen Unterton. „Das rettete ihnen das Leben!“
Bei diesen Worten stockte einigen Zuschauern der Atem. Petiot versuchte als Nächstes die Bedeutung der Worte zu erläutern und behauptete, dass er solch eine hohe Summe verlangte, um
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