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Der Serienmörder von Paris (German Edition)

Der Serienmörder von Paris (German Edition)

Titel: Der Serienmörder von Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David King
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der französischen Kriminalgeschichte“. Tatsächlich, in diesem Moment schienen all die Knochen im Keller vergessen zu sein, die vom Löschkalk zerfressenen Leichen und die unzähligen menschlichen Überreste, die man aus der Seine gefischt hatte. Das alles überdeckte ein eloquentes Plädoyer, gefolgt von anhaltendem Applaus.
    Nach französischem Recht hatte der Angeklagte das letzte Wort. Leser fragte Petiot, ob er dem Ganzen noch etwas hinzufügen wolle. „Ich kann nicht … nein, nichts“, antwortete dieser, ergriffen von der Rede seines Anwalts. „Ihr seid Franzosen. Ihr wisst, dass ich Mitglieder der Gestapo getötet habe. Ihr wisst auch, wie ihr euch entscheiden müsst.“
    Den Geschworenen wurde eine Liste mit 135 „Ja oder nein“-Fragen übergeben, unterteilt in jeweils Fünfer-Blöcke für die 27 mutmaßlichen Opfer. „Ist der obengenannte Marcel André Henri Petiot schuldig, willentlich in Paris oder einem anderen Teil Frankreichs [bitte Namen einsetzen] ermordet zu haben?“ Folgende Fragen sollten z. B. klären, ob der Angeklagte schuldig war, die Straftat mit „boshaftem Vorsatz“ begangen zu haben: Wurde die Tat „in hinterhältiger Weise“ begangen, ließ sie sich „durch betrügerische Aneignung von Besitztum“ charakterisieren? Schließlich mussten die Geschworenen die Frage beantworten, ob der Angeklagte die vorsätzlichen Morde mit „dem Ziel [beging], die eben erwähnte betrügerische Aneignung von Besitztum vorzubereiten, zu ermöglichen oder zu begünstigen“. Die Geschworenen stimmten bei jeder Frage zu jedem einzelnen Opfer ab. Eine Zweidrittelmehrheit reichte zu einem Schuldspruch.
    Leser, die zwei beisitzenden Richter und die Geschworenen zogen sich mit der alle Maßstäbe sprengenden Akte in das „Chambre des Délibérations“, das Beratungszimmer, zurück und durften sich zuerst an einem herzhaften Essen mit Sauerkraut und Wein aus einem nahegelegenen Bistro erfreuen. Nur wenige Zuschauer trauten sich, den Gerichtssaal zu verlassen, dessen Klima die berühmte Colette für France-Soir als „erstickend und erdrückend“ beschrieb. Vor dem Saal versammelten sich zahlreiche Menschen, in der Hoffnung, einen Platz zu ergattern. Es konnte ja gut sein, dass jemand den Fehler machte, die Cafeteria zu besuchen und sich den Stuhl nicht von einem Freund freihalten ließ. Einige Zuschauer holten Butterbrote aus den Taschen, Räucherwurst und Früchte aus braunen Papiertüten, während andere genüsslich rauchten. Im Hintergrund fuchtelten einige mit ihren Operngläsern herum.
    Eine Wache eskortierte Petiot in ein Nebenzimmer. Drei von den „Floriot-Jungs“ gesellten sich zu dem Angeklagten. Gemeinsam unterhielten sie sich über alle nur erdenklichen Themen, von Orientteppichen bis hin zu der Kunst, bei Auktionen Schnäppchen zu machen.
    Um 11.50 Uhr, nach zwei Stunden und 15 Minuten Beratung, also ungefähr einer Minute pro Frage (das hieß, dass man über wenig Zeit verfügte, die Frage laut vorzulesen, geschweige denn, darüber zu debattieren), gab der Gerichtsdiener bekannt, dass die Geschworenen ihr Urteil gefällt hätten. Petiot saß schon wieder im Gerichtssaal, wo er nach einigen Widmungen in seinem Buch eingeschlafen war. Man weckte ihn.
    Kurz darauf betraten die Geschworenen und die Richter den stillen Raum. Der Gerichtsdiener las jede Frage vor. Petiot wurde des Mordes in 26 von 27 Fällen für schuldig erklärt. Nur im Fall Denise Hotin sprach man ihn frei. Nachdem er den Angeklagten gebeten hatte, sich zu erheben, verlas Leser die Strafe: Marcel Petiot wurde zum Tod durch die Guillotine verurteilt.
    Der Arzt strahlte Ruhe aus und wirkte zurückhaltend.
    Grelle Blitzlichter der Kameras erhellten den Saal, ließen Petiots Gesicht schmaler erscheinen und „gruben sich in seine Augenhöhlen“, wie es Henry Magnan in Le Monde ausdrückte. Bei der Verlesung hatte man ein Schluchzen gehört. Einige vermuteten, dass es von Georgette kam, andere glaubten, es wäre Maurice, Gérard oder möglicherweise eine Person gewesen, die in keiner näheren Beziehung zum Angeklagten stand. Floriot teilte sofort mit, Einspruch gegen das Urteil einzulegen. Während Leser das Urteil verlas, blickte Petiot in Richtung seiner Familie. Er rieb sich die Hände, als würde er sie waschen, und grinste wütend und verächtlich. Als die Wachen ihn wieder in Handschellen aus dem Gericht führten, drehte sich Petiot um und schrie: „Ich muss gerächt werden!“

DIE GÖTTLICHE GERECHTIGKEIT

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