Der Serienmörder von Paris (German Edition)
exekutiert werden musste“. Das stelle kein Verbrechen dar, wie Floriot das Gericht erinnerte, und er zitierte die Proklamation de Gaulles während des Krieges in Algerien: „Es gibt keine Verbrechen oder Vergehen, wenn sie im Interesse Frankreichs ausgeübt werden.“ (Im Fall von Denise Hotin, Jean-Marc Van Bever, Marthe Khaït, Joachim Guschinow, Paul Braunberger und Kurt sowie Greta und René Kneller hatte Petiot die angeblichen Morde bestritten.)
Im Gegensatz zu Guschinow und den Knellers, denen er die Flucht aus Paris ermöglicht habe, habe Petiot keine Angaben zu den Aufenthaltsorten der anderen Frauen und Männer machen können. Wenn nun die Anklage genügend Beweismaterial vorgelegt hätte, um auch nur eine einzige der acht Personen mit einem tatsächlich begangenen Mord seines Mandanten in Verbindung zu bringen, solle Petiot bis in alle Ewigkeit verdammt sein, äußerte Floriot. Doch das sei nicht geschehen.
Floriot ging mit großer Sorgfalt vor, beleuchtete jedes der angeblichen Opfer und erhob zahlreiche Bedenken hinsichtlich der Beweise. Ein Beispiel war der Fall von René Kneller: Es stimme, dass man in der Rue Le Sueur einen Schlafanzug und die Leiche eines Jungen in der Seine gefunden habe. Auch habe Petiot bei der Verhaftung über eine Lebensmittelkarte aus dem Besitz des siebenjährigen René verfügt, mit in Valeri abgeändertem Nachnamen.
Trotzdem sei es der Staatsanwaltschaft nicht gelungen, Petiots Angabe zu widerlegen, er habe der Familie die Flucht ermöglicht. Möglicherweise hatte man den Schlafanzug einfach als Schmutzwäsche hinterlassen und die Lebensmittelkarte als Geschenk oder als eine Art Anzahlung für die Fluchtkosten, die die Knellers dem Arzt schuldeten. Zu der in der Seine aufgefundenen Leiche – das könnte auch einer der vielen Jungen gewesen sein, die zu der Zeit tragischerweise verschwunden seien. Es gebe keinerlei Hinweise, dass es René gewesen sei, und überhaupt keinen Beweis, der mit Petiot in Verbindung gebracht werden könne. Man dürfe Petiot niemals mit dem Tod bestrafen, argumentierte der Jurist, da es so viele unbeantwortete Fragen gebe und ein erheblicher Mangel an belastbaren Beweisen bestünde.
Floriot wandte sich daraufhin dem Verschwinden von Dr. Braunberger zu und begann, die von der Anklage hergestellte Verbindung zu hinterfragen – der Hut und das Hemd, die man auf seinem Grundstück gefunden hatte und die laut Marguerite Braunberger angeblich ihrem Mann gehört hätten. Floriot wies daraufhin, dass Madame Braunberger beinahe blind sei. Sie habe die Objekte erst identifiziert, nachdem sie eine Beschreibung im Bestandskatalog gelesen und dann gezielt danach gesucht habe.
Darüber hinaus sei man mit den Beweisen unentschuldbar schlampig umgegangen. Die Koffer mit den Gegenständen seien von der Polizei in Abwesenheit von Dr. Petiot verpackt worden. Natürlich sei das für jeden zu verstehen, denn sein Mandant habe sich zu der Zeit auf der Flucht befunden. Doch sogar nach seiner Verhaftung habe man die Koffer mehrfach geöffnet, ohne dass man Petiot oder einen Rechtsvertreter als Zeugen geladen habe. Die Tatsache, dass das Siegel noch intakt war, spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle. Wer könne garantieren, ob niemand den Inhalt manipuliert habe, wenn die Koffer allein „15 Mal in meiner Abwesenheit geöffnet und verschlossen worden waren“?
Der Hut und das Hemd fanden sich nicht am selben Ort. Nach Angabe der Polizei waren sie zusammen verpackt worden, was aber nicht stimme. Das Hemd stamme aus einem Koffer von Neuhausens Dachboden, während man den Hut in einem Koffer in der Rue Le Sueur entdeckt habe, der zudem eine Pfeife, einen Fotoapparat, einen Tintenlöscher, eine Stableuchte zur Halsdiagnostik und einen kleinen Terminkalender enthielt. Und falls der Hut und das Hemd tatsächlich Braunberger gehörten, wo befanden sich dann sein Jackett, die Weste, die Hosen und weitere Kleidungsgegenstände?
Bezüglich der angeblichen Initialen „P. B.“ auf dem Hemd deutete Floriot ein weiteres Problem an. Er bat die Jury, sich die Buchstaben aus der Nähe anzuschauen. Stand dort tatsächlich „P. B.“? Könnte es nicht ein „B. P.“ sein? Eigentlich wirke es bei näherem Betrachten wie „P. F.“ oder „F. R.“ oder ähnliche Kombinationen. Sogar Professor Sannié von der Identité Judiciaire, der das Hemd mikroskopisch untersucht habe, könne nicht mit Bestimmtheit sagen, dass es sich um „P. B.“ handelt. Floriot führte das
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