Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Belastungsstörung übereinzustimmen. Es gab einige Berichte von Wahnvorstellungen und Halluzinationen und zumindest eine Diagnose von Dementia Praecox und Schizophrenie. Nur zehn Jahre vor dem Prozess war bei ihm ein leichter Fall von manisch-depressiver Psychose festgestellt worden, einhergehend mit einer Paranoia. Tatsächlich hatte Petiot noch bis zum Urteilsspruch eine Teilrente aufgrund mentaler Instabilität erhalten.
Der Staatsanwalt beim Prozess, Pierre Dupin, hatte in Folge Zweifel an der geistigen Gesundheit des Angeklagten ausgedrückt. Dennoch hatten er, der Verteidiger und sogar Petiot selbst sich dagegen verwehrt, sich mit diesem Abschnitt der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Geschworenen waren zudem instruiert worden, nur die letzte psychiatrische Begutachtung zu berücksichtigen. Petiot war demzufolge nicht psychotisch, sondern amoralisch. Ihm fehlten angeblich ein ausgewogenes Gewissen, Mitgefühl, jegliche Skrupel, und er empfand weder Schuld noch Mitleid.
Nach dem Urteilsspruch beantragten die die Familien vertretenden Anwälte eine unverzügliche Kompensation für ihre Mandanten. Die Richter stimmten den folgenden Zahlungen aus dem Besitz Petiots zu: Paulette Dreyfus erhielt die höchste Summe von 880.000 Francs, wobei man ihre hohen Lösegeldzahlungen berücksichtigte. Der Witwe von Dr. Braunberger sprach man 700.000 Francs zu, gefolgt von Guschinow (500.000 Francs) und 100.000 Francs für die Verwandten der Familie Kneller in Tel Aviv. Die Angehörigen der Wolff-Familie in Tennessee, Kuba und Hawaii teilten sich 300.000 Francs. Die verbleibenden fünf Familien erhielten 100.000 Francs oder weniger:
Grippay – 100.000
Arnsberg – 80.000
Rossmy – 50.000
Khaït – 50.000
Piereschi – 10.000
Insgesamt ergab das eine Summe von 2.770.000 Francs.
Das Petiot-Vermögen wurde darüber hinaus mit Gerichtskosten von 312.611,50 Francs belastet, was eine Gesamtsumme von 3.082.611,50 Francs ausmachte. Nur ein Bruchteil des Geldes wurde allerdings ausbezahlt.
Während Petiot auf das Urteil des Berufungsgerichts wartete – Floriot hatte den Antrag unverzüglich gestellt –, fand man bei einer Routineuntersuchung seiner Zelle eine kleine, im Saum der Gefängniskluft eingenähte Viole. Die Behörden vermuteten Zyanid, doch es handelte sich lediglich um ein Sedativum. Petiot verhielt sich wie gewohnt, rauchte wie ein Schlot, zeichnete und verfasste Gedichte. Natürlich stellte er sich die Frage, wo man ihn „ermorden“ würde.
Jules-Henri Desfourneaux wurde zwischenzeitlich gebeten, die Guillotine passgenau einzurichten. Der 69-jährige Mann mit einem langen weißen Bart wurde 1939 zum Obersten Scharfrichter oder auch „Monsieur de Paris“ ernannt, da sein Vorgänger Anatole Deibler auf dem Weg zu seiner 401. öffentlichen Hinrichtung einen Herzinfarkt erlitten hatte. Da Deibler keine Nachkommen hatte, wäre die Position zuerst an seinen Kammerdiener übergegangen, hätte dieser zugesagt. Das Amt eines Scharfrichters wurde in Frankreich im Normalfall vererbt.
Das Tötungsinstrument war im April 1792 von seinem Namensgeber, dem französischen Arzt Joseph-Ignace Guillotin, vorgestellt worden, der damit eine humanere Methode der Exekution einführen hatte wollen. Der Grund hatte auf der Hand gelegen. Der damals übliche, Kapuzen-tragende „Axtmann“ konnte trotz aller Vorsicht das Ziel verfehlen, nicht genügend Kraft aufwenden, mit einer stumpfen Klinge arbeiten, betrunken zum Dienst kommen – oder im ungünstigsten Fall all die negativen Missstände zugleich auf sich vereinen. Mit einer Guillotine konnte der Kopf schmerzfrei abgetrennt werden und, so Guillotin, das grausame Gemetzel verhindern, in das sich eine Exekution manchmal verwandelte.
Nachdem der Arzt zusammen mit einem Cembalo-Bauer das erste Modell konstruiert und es dann praktisch an Stroh, Schafen und danach Leichen ausprobiert hatte, verbesserte er das Gerät, indem er es stabiler baute und die Form des Fallbeils von einer Mondsichel in eine dreieckige scharfe Metallschneide änderte. „Das nationale Rasiermesser“, „Das Messer der einfachen Leute“, „Guillotins Tochter“ und „die Planke der Justiz“ zählten zu den populären Namen für das „Instrument“, das in der französischen Geschichte bis zum letzten Einsatz 1977 eine große Rolle spielen sollte.
Desfourneaux’ erste Hinrichtung ließ sich nicht als Riesenerfolg beschreiben. Am 16. Juni 1939 war der Hals des verurteilten Mörders Eugen Weidman
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