Der Serienmörder von Paris (German Edition)
TRÖSTET MICH.
(Georgette Petiot)
I n einem Interview am Abend des Prozesses erzählte Georgette Petiot den beiden Reportern Maurice de Person und Christian Yve von France-Soir , dass sie sich allein und deprimiert fühle. „Mich kann jetzt nichts mehr berühren. Die öffentliche Meinung ist mir egal.“ Ihr Mann sei nicht schuldig und ein weiteres Opfer der Nazi-Propaganda und des ständigen öffentlichen Bedürfnisses nach Skandalen. Obwohl sie den Urteilsspruch nicht rückgängig machen könnten, müsse sie sich mit der Unvermeidbarkeit abfinden:
Im Leben gibt es böse und dunkle Stunden, aber auch Stunden, so schön, dass sie das Leid der schlimmen Momente auflösen können … Und es gibt die Hoffnung. Hoffnung, dass dieses Leben nicht das Ende bedeutet. Der Glaube bietet mir in diesem Moment Halt und Unterstützung. Die göttliche Gerechtigkeit tröstet mich.
Noch elf Jahre nach dem Urteil war Georgette von der Unschuld ihres Mannes überzeugt. Eines Tages, so sagte sie, werde sie es beweisen. Sie rekonstruierte die Akte und prüfte jeden einzelnen Abschnitt. In ihrem kleinen Appartement nahe des Friedhofs Montmartre verzierte ein Foto von Marcel Petiot die Frisierkommode.
Gérard sollte die Aufmerksamkeit der französischen Polizei Jahre später noch ein letztes Mal erregen. Im Februar 1955 ging ein anonymer Brief bei einer Wache ein, in dem berichtet wurde, dass er versuche, Wertgegenstände in einem Juweliergeschäft zu veräußern. Einer der Inhaber, Léon Schpiglouz, teilte der Polizei daraufhin mit, dass er ein Mikroskop gekauft habe, das einst Dr. Petiot gehört habe, doch keinerlei Schmuck oder sonstige Wertgegenstände. Auch berichtete er, dass seine Familie, jüdische Emigranten aus Russland, die während des Krieges in der Rue Caumartin lebten, mehrfach von dem Arzt angesprochen worden seien, um sie zu einer Flucht aus dem besetzten Paris zu ermutigen.
Gérard wanderte schließlich nach Südamerika aus und ließ sich in Rio de Janeiro nieder, wo er gemeinsam mit seinem Cousin als Geschäftsmann tätig war. Georgette, die einige Jahre in einer Bäckerei arbeitete, heiratete 1966 erneut. Beide sprachen niemals in der Öffentlichkeit über Petiot.
Obwohl kaum jemand daran zweifelte, dass Petiot so viele Leben auf dem Gewissen hatte, konnte wohl niemand behaupten, dass man ihn in einem gerechten Verfahren verurteilt hatte. Die vielen unbeantworteten und nicht gestellten Fragen aufzuzählen, käme einer schwer lösbaren Herausforderung gleich. Auch die Tatsache, dass man 27 Mordanklagen in nur 16 Tagen abhandelte – und das im explosiven Pariser Klima des Jahres 1946 –, erschwerte eine unparteiische und gründliche Begutachtung aller Beweise. Die Presse, wie René Floriot es beschrieb, hatte „den Prozess hochgekocht“. Einige Geschworene hatten Reportern Interviews gegeben, in denen sie eine eindeutige Voreingenommenheit gegenüber dem Angeklagten an den Tag gelegt hatten. Sogar Président Leser hatte Petiot ein „beängstigendes Monster“ genannt. 20 Jahre nach dem Urteilsspruch gestand einer der Geschworenen seine Überzeugung ein, sich zu schnell ein Urteil gebildet zu haben. Er äußerte die Meinung, dass Petiot kein fairer Prozess gemacht worden sei.
Darüber hinaus lohnte sich die Spekulation, ob die Verteidigung nicht auf Unzurechnungsfähigkeit hätte plädieren sollen. Paragraph 64 des französischen Strafgesetzbuches besagt, dass „weder ein Verbrechen noch ein Vergehen bestraft werden kann, wenn der Angeklagte sich zum Tatzeitpunkt in einem psychisch verwirrten Zustand befand oder von einem zwanghaften Verhalten angetrieben wurde, dem er nicht widerstehen konnte“. Das sich für Floriot darstellende Problem bestand in Petiots Behauptung, ein Held der Résistance zu sein, was einer solchen Kategorisierung widersprach. Darüber hinaus ließ sich nicht mit Sicherheit behaupten, ob so ein Argument die Geschworenen überzeugt hätte. Bei der letzten psychiatrischen Evaluierung, abgeschlossen im Dezember 1944, hatte man bei Petiot keinerlei mentale Probleme festgestellt.
Trotzdem hatte der Mann eine durch psychische Probleme gekennzeichnete Vorgeschichte. Im Alter von 40 Jahren hatten einige Psychiater bei ihm eine Anzahl von Krankheitsbildern diagnostiziert, aus denen man geschlussfolgert hatte, dass „er für sich selbst und andere eine Gefahr darstellte“. Einige der ersten Gutachten während des Ersten Weltkriegs scheinen mit der heutigen Diagnose einer posttraumatischen
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