Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Vaterland systematisch zurückgehalten und stattdessen seinen unbegründeten Ruf als Unhold und Folterknecht zementiert. Niemals habe ein Blatt von der Festnahme durch die Gestapo berichtet. Das Ansehen seines Mandanten sei nun schlichtweg ruiniert.
Zu den Vorurteilen und Fehlern der Medien kämen darüber hinaus noch die Unzulänglichkeiten der Polizeiermittlung. Ursprünglich, so stellte es Floriot dar, habe die Behörde beabsichtigt, Petiot 100 Morde anzulasten, doch im Laufe der Zeit habe die Anzahl der Opfer ständig abgenommen, da die Ermittler erkannt hätten, dass er sie nicht begangen haben konnte. In einigen Fällen sei man des tatsächlichen Täters habhaft geworden, in anderen habe sich herausgestellt, dass das Opfer noch lebe oder während des Krieges deportiert worden sei. Manchmal sei das vermeintliche Opfer während der Zeit, in der Petiot in Fresnes einsaß, verschwunden. Letztendlich stehe die Polizei jetzt lediglich mit 27 Fällen da. Um eine Verurteilung zu ermöglichen, hätten die Ermittler jeden nur erdenklichen und gegen Petiot verwendbaren Beweis an sich gerissen und dabei die für den Angeklagten positiven Zeugenberichte ignoriert. Bezugnehmend auf die Aussage von Inspektor Poirier wies Floriot darauf hin, dass die französische Polizei 2.000 Patienten des Arztes verhört habe. Dabei habe sie nur überschwänglich positive Urteile über Petiot gehört. Das Plädoyer der Anklageerhebung habe diesen Aspekt unter den Tisch fallen lassen.
Danach erläuterte der Verteidiger Petiots Geschichte aus seiner Perspektive. Der sich freiwillig zum Dienst verpflichtende Infanterist sei im Ersten Weltkrieg im Kampf verwundet und danach zuerst ehrenhaft entlassen worden, wobei man ihn zu 50 Prozent versehrt erklärte und später zu 100 Prozent. (Tatsächlich waren es zuerst 40 und dann 100 Prozent, die daraufhin auf 50 Prozent reduziert wurden.) Trotz dieser Einschränkung habe Petiot das Medizinstudium an der Universität von Paris aufgenommen. Er habe eine Dissertation verfasst, die mit einer glänzenden Note bewertet worden sei, und danach eine eigene Praxis in Villeneuve-sur-Yonne aufgebaut. Wiederholt hätten seine Patienten die Qualität der medizinischen Arbeit und die Verdienste als Bürgermeister der Stadt bezeugt. Dann, nachdem er die böswilligen, von Feinden, die seinen Niedergang anstrebten, in Umlauf gebrachten Angriffe auf seine Person überstanden hatte, sei er nach Paris gezogen und habe eine neue Praxis eröffnet. Während des langen Zeitraums sei er ein aufopferungsvoller Ehegatte und Vater gewesen. Während die Ermittler und die Staatsanwaltschaft nur eine Seite Petiots aufgezeigt hätten, was Floriot kritisierte, zeichnete auch er selbst ein schamlos einseitiges Bild seines Mandanten.
Der gleiche leidenschaftliche Drang zur Pflichterfüllung habe Petiot veranlasst, die persönlichen Interessen hintanzustellen und sich der Résistance anzuschließen. Und was bedeutete die Résistance, fragte Floriot. War es notwendig oder ausreichend, einer offiziellen Organisation beizutreten, um als Held zu gelten? Musste man nicht die Bedeutung zutiefst empfundener Überzeugungen berücksichtigen?
Ob es einem gefalle oder nicht – Petiot sei ein Widerstandskämpfer. Zeugen hätten wiederholt seine deutschfeindliche Haltung bestätigt, und tatsächlich finde sich in dem großen Dossier kein einziger Beweis, der das auch nur ansatzweise widerlegen könne. Floriot fuhr fort, indem er darauf hinwies, dass Petiot falsche Atteste für Franzosen ausgestellt und sie somit vor den Arbeitslagern der Deutschen gerettet habe oder ihnen sogar Medikamente zur Verfügung gestellt habe, damit sie am Tag der medizinischen Untersuchung durch den Feind krank schienen. Durch die Arbeit mit Fly-Tox habe Petiot seine Tätigkeit für die Résistance erweitert. Die Widerstandskämpfer hätten ihn gut gekannt, so wie auch Lieutenant Richard Héritier keinerlei Zweifel an der Vergangenheit im Untergrund gehegt habe. Sogar die Gestapo – so erinnerte Floriot die Geschworenen – habe ihn verdächtigt, womit sich die Gefängnishaft und die Folter erklären lasse. Nun, trotz der Verdienste um Frankreich, stehe Petiot wegen angeblich 27 Morden vor Gericht. Er gebe 19 davon zu und behaupte, dass jede dieser Personen entweder ein Agent der Gestapo gewesen sei, ein Informant oder ein Spion, der versucht habe, die Fly-Tox-Organisation zu infiltrieren, und damit ein Subjekt, „das im Namen der Résistance und Frankreichs
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