Der Serienmörder von Paris (German Edition)
viel über das Haus zu wissen.
„Ich sollte Ihnen vielleicht noch sagen, dass im Lastwagen ungefähr 30 Sack Kohle für eine Auslieferung nach Auxerre lagen.“ Nach der Panne hatte Maurice Eustache erlaubt, die Fracht im Stadthaus des Bruders in der Rue Le Sueur zwischenzulagern, während sie auf einen Mechaniker oder ein neues Vehikel warteten. Er habe davon nicht schon früher berichtet, da er nicht im Entferntesten daran gedacht hätte, damit einen wichtigen Beitrag zur Ermittlung zu leisten. Über den Aufenthaltsort seines Bruders an dem Tag wusste Maurice angeblich nichts. Er hatte nichts Neues erfahren und konnte lediglich Vermutungen anstellen. Es gab drei Möglichkeiten: Er versteckte sich bei der Résistance, er war ins Ausland geflohen oder er hatte Selbstmord begangen.
Massu bat einen Beamten, Maurice wieder in seine Zelle zu führen. Und wie lange wolle man ihn nun festhalten, fragte er.
„So lange, wie es mir das Gesetz ermöglicht.“ Massu musste weitere Spuren verfolgen, die „auch wenn sie für Sie unerheblich sind, einen essenziellen Beitrag für die Ermittlung bedeuten“. Maurice Petiot wurde also protestierend und auf seine Unschuld pochend abgeführt.
Der Kommissar kehrte um ungefähr Mitternacht in seine Wohnung zurück. Er wusste, dass Bernard immer noch wach sein würde, in seinem Zimmer lernte und auf Neuigkeiten des Falles wartete. Massu überkam das Gefühl, bald schon vor dem großen Durchbruch zu stehen. In dieser Nacht unterhielt er sich mit Bernard über Serienmörder. Petiot hatte seine Morde nicht über einen langen Zeitraum begangen, wie zum Beispiel Henri Landru. Stattdessen ging er zu schnell und zu ungestüm vor, wodurch das Gemetzel nur ein zeitlich begrenztes Phänomen war. Massu musste noch viel – sehr viel – über den Fall lernen.
NACHDEM ICH DIE MUSSE GEHABT HABE, DIE TIEFE SEINER GEDANKENGÄNGE ZU STUDIEREN, BIN ICH ÜBERZEUGT, DASS SEINE GRÖSSTE FREUDE DARIN BESTAND, MIT DEN GEDANKEN UND GEFÜHLEN DER ANDEREN ZU SPIELEN.
(René Nézondet über Marcel Petiot)
P rofiling – die Technik, das psychologische Porträt eines Kriminellen, basierend auf seinem Verhalten und vorliegenden Beweisen, zu erstellen, war ein Verfahren, das während der Ermittlung im Fall Petiot bzw. im Rahmen der Untersuchung anderer Straftaten zur Zeit der Besatzung nicht angewendet wurde. Obwohl man schon damit experimentierte, wie Walter Langers berühmtes Profil von Adolf Hitler für das Office of Strategic Services (OSS) 1943 belegt, stand die Nutzung dieser Methode, die später einen regelrechten Boom erleben sollte, erst am Anfang. Die Behavioral Science Unit (Einheit zur Verhaltensanalyse) des FBI wurde 1972 in Quantico, Virginia, ins Leben gerufen und zeichnete sich durch viele erstklassige Identifizierungen aus. Thomas Harris’ Roman Das Schweigen der Lämmer aus dem Jahr 1988 und die Verfilmung mit Anthony Hopkins in der Rolle des Dr. Hannibal Lecter zollten diesem Erfolg Tribut.
Special Agent John Douglas, ein Veteran der Abteilung, der in Grundzügen als Vorbild für den fiktionalen Detektiv Jack Crawford in dem Roman diente, beschrieb das sogenannte Macdonald-Dreieck von Verhaltensmustern, die eine Aussage über zukünftiges, gewalttätiges Verhalten ermöglichen. Eckpunkte sind dabei ein grausames Verhalten gegenüber Kleintieren, Bettnässen bis ins jugendliche Alter und Brandstiftung. Zwei dieser Charakteristika trafen, wie bekannt, auf Marcel Petiot zu, und auch das dritte spielte eine gewisse Rolle: Die Polizei wusste schon von der Brandstiftung in dem Milchbetrieb, die auf den Mord an der Besitzerin Henriette Debauve folgte, Petiots Patientin und möglicher Geliebten. Später erhielten sie die Information, dass nicht lange nach dem Verschwinden einer anderen Geliebten, nämlich Louisette Delaveau, ein mysteriöses Feuer das Haus ihres ehemaligen Arbeitgebers in Schutt und Asche legte.
Die französische Polizei machte sich an die schwierige Aufgabe, in die Gedankengänge Petiots einzutauchen. Die Ermittler suchten zur Feststellung verdächtig anmutender Transaktionen bei Banken und Versicherungsgesellschaften nach seinen Konten bzw. Unterlagen. Bei Regierungsbehörden erbaten sie Informationen hinsichtlich Krankenhauseinweisungen, Unfällen, Gefängnisaufenthalten und Ausweispapieren, die unter seinem Namen ausgestellt wurden, aber eventuell auch unter Lablais, dem Mädchennamen seiner Frau. Die Beamten befragten weiterhin Nachbarn, durchkämmten die verschiedenen
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