Der Serienmörder von Paris (German Edition)
begutachtete der Mediziner „Kopfhautreste, an denen das Haar durch den Einfluss übel stinkender Körperflüssigkeit festgebacken war“. Die wohl erschütterndste Entdeckung bestand für den Pathologen – wie auch für Kommissar Massu – aber in der Drainagegrube im Hinterhaus, wo die ineinander verkeilten und verwesenden Körper bzw. Körperreste lagen, „zusammengequetscht wie Heringe und teilweise stark vom Löschkalk verbrannt, der ihnen eine weiße Farbe verlieh“.
Einige der Körper befanden sich noch in einem guten Zustand, andere hingegen waren zerstückelt worden. Eine erste, oberflächliche Beurteilung wies auf einen geschickten Mann hin, der sich in der Kunst des Sezierens bestens auskannte. Wie die gleichfalls am Fall arbeitenden Kollegen Dr. Paul und Dr. Dérobert, so konnte auch Piédelièvre noch keine eindeutige Aussage machen, ob es sich bei dem Mörder um einen Anatomen oder einen Forensiker handelte. Fest stand, dass es zumindest ein Arzt sein musste. „Die einzelnen Abtrennungen der Körperteile wurden mit hoher Professionalität durchgeführt“, sagte Piédelièvre, und er wies darauf hin, dass der Verdächtige die Haut der Fingerkuppen entfernt hatte, um eine Identifikation durch Fingerabdrücke zu verhindern, und die Gesichtshaut mit nur einem Schnitt entfernte. Piédelièvre wunderte sich über die große Geschicklichkeit des Mörders.
Als Forensiker waren Piédelièvre und sein Team eine wichtige „Unterstützung der Justiz“. Das Ziel lag in einer auf harten Fakten basierenden sorgsamen und ausgewogenen Aussage über den Fall, die nicht schon bald „durch Gegenargumente widerlegt“ werden konnte. Diese Aufgabe war im Fall Petiot extrem schwierig und kompliziert, da die Gerichtsmediziner die Körper aus all den haarlosen Schädeln, den gebrochenen Oberschenkelknochen und dem – Piédelièvre nannte es „ein schlammiges Durcheinander“ – von mit Löschkalk versehrten Gewebe und anderen Bruchstücken rekonstruieren mussten. Im Falle einer nicht möglichen Rekonstruktion waren die Mediziner gezwungen, durch das exakte Wiegen der Knochenfragmente auf eine möglichst genaue Zahl der Mordopfer zu schließen.
Man bat sie zunächst, die Anzahl und das Geschlecht der Opfer festzustellen. Das allein stellte die Pathologen vor eine schwierige, aber nicht unmögliche Aufgabe. Sie mussten sich auf bestimmte Knochen konzentrieren wie Becken- und Oberschenkelknochen, die bei einer Frau breiter und stabiler sind. Weitaus schwieriger gestaltete sich die Bestimmung des Todeszeitpunkts und der Todesursache. Die meisten Überreste waren nicht nur brutal verstümmelt, sondern befanden sich schon im Zustand fortgeschrittener Verwesung.
Erschwerend kam hinzu, dass das Forensik-Team keine Kugeln, Einstiche von Messern, Spuren eines stumpfen Gegenstandes oder sonstiger Waffen gefunden hatte, die auf einen gewaltsamen Tod hindeuteten. Bei einigen Opfern ließen sich Brüche nachweisen, doch die Winkel der Frakturen wiesen mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass der Bruch nach dem Tod erfolgte, also auf jeden Fall, nachdem der Mörder die Haut und das Muskelgewebe entfernt hatte. Man vermutete, dass der Bruch erfolgte, als ein Teil eines Armes oder Beines durch das kleine Türchen des Ofens gequetscht wurde.
Nirgendwo ließen sich Flecken, Schlieren, Tropfen oder größere Spuren von Blut nachweisen. Die Pathologen fanden zudem keinerlei Hinweise auf irgendwelche Giftstoffe. In den meisten Fällen waren die inneren Organe entfernt worden, was dazu führte, dass sich der Verwesungsgestank erheblich verminderte. Für die Wissenschaftler vergrößerte dies jedoch die Schwierigkeit, die Todesursache herauszufinden. In den wenigen Fällen, in denen man innere Organe fand, fürchteten die Mediziner, dass der Einfluss des Feuers, des Löschkalks und der fortgeschrittenen Verwesung einen signifikanten Rückschluss unmöglich machten.
Die unbeantworteten Fragen häuften sich. Massu erkannte, dass alle den Verdächtigen betreffenden Informationen, und wären sie auch noch so klein, ihm weiterhelfen würden. „Der kleinste Hinweis kann sehr wichtig sein“, erklärte er den Ermittlern, die sich auf den Weg in die Metropole machten, um Personen zu finden, die den Arzt kannten.
Zwischenzeitlich musste sich Maurice Petiot einem zweiten Verhör stellen.
„Würden Sie uns bitte genau schildern, was Sie vom 11. bis zum 13. März gemacht haben?“
Am 11. hatte er sich angeblich den ganzen Tag in
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