Der Serienmörder von Paris (German Edition)
einmal besucht, denn sein Bruder hätte es ohne eine gemeinsame Besichtigung nicht gekauft.
Über eigene Besuche in der Rue Le Sueur befragt, entgegnete Maurice, dass ihm nicht Ungewöhnliches aufgefallen sei. Auch erstaunten ihn nicht die Unordnung und der überhand nehmende Krimskrams, da sein Bruder ein leidenschaftlicher Sammler war, der es genoss, bei Auktionen verschiedenste Gegenstände zu ersteigern. Nun gab er zu, den dreieckigen Raum, den er als eine Art „Cabinet Noir“ beschrieb, schon einmal betreten zu haben. Während er sich angeblich nicht an die Haken erinnern konnte, gab Maurice zu, auf die falsche Tür gestoßen zu sein, die ihn so neugierig gemacht habe, sodass er zuerst versuchte, sie mit einem Brecheisen zu öffnen. Dann entdeckte er laut eigener Aussage den rein dekorativen Zweck des Ganzen.
Während des Verhörs gestand Maurice, von der Entdeckung des Tatorts schon am 11. März und nicht erst am Montag, dem 13. März, gehört zu haben, wie er ursprünglich behauptet hatte. Er habe am späten Abend einen anonymen Anruf erhalten. Hartnäckig und wiederholt wies er darauf hin, dass es nicht sein Bruder gewesen sei.
Massu wollte wissen, ob Maurice dem dubiosen Anrufer Fragen stellte, woraufhin er eine merkwürdige Antwort gab: „Ich wollte wissen, wie man auf die Leichen gestoßen war, doch erhielt dazu keine Informationen.“ Wenn Maurice angeblich nichts von den Morden gewusst hatte, mutete diese erste Frage mehr als nur auffällig an. Gleichermaßen suspekt war die Länge des Gesprächs, das beinahe acht Minuten dauerte und zwar von 21:54:36 bis 22:02:32.
Massu führte Maurice den Korridor hinunter, entlang einer Reihe gerahmter Fotografien, und überstellte ihn dem Untersuchungsrichter, der ihn wegen Mittäterschaft anklagte.
„Ich bin überzeugt“, erklärte Massu den Reportern, „dass sowohl sein Bruder als auch seine Frau von seinem Aufenthaltsort wissen.“
BLUT, MEHR BLUT, NOCH MEHR BLUT.
(Kommissar Massu)
D ie außergewöhnlich breit angelegte Berichterstattung über den Fall Petiot verwandelte sich schon nach kürzester Zeit in einen regelrechten Medienzirkus. Die Zeitungen ließen sich die reißerischsten Namen für den Arzt einfallen: „Der Schlächter von Paris“, „Der Skalpjäger von Étoile“, „Das Monster aus der Rue Le Sueur“, „Der dämonische Menschenfresser“ oder „Doktor Satan“. Petiot wurde als moderner Wiedergänger von Blaubart bezeichnet, dem reichen Aristokraten aus dem bekannten französischen Schauermärchen des späten 17. Jahrhunderts, der seine Frauen ermordete und ihre leblosen Körper in einem Kerker unter dem Schloss an Haken aufhängte. Später dachte man sich noch Titulierungen aus wie „Der Mörder aus der Unterwelt“ oder „Der Werwolf von Paris“.
Die Spekulationen überschlugen sich. Man redete über den Fall Petiot in Straßencafés, in verrauchten Kabaretts und Bordellen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit Hochbetrieb hatten, an jeder Straßenecke, einfach an allen nur erdenklichen Orten. Ein Journalist des Paris-Soir bemerkte während eines Luftangriffs am 24. März 1944 in der Métro, in die sich die Menschen flüchteten, dass alle Welt sich trotz der aktuellen Gefahr nur über Petiot unterhielt. Viele Einwohner der Stadt erinnerten sich an den zwei Jahre zuvor populären Film L’Assassin habite au 21 ( Der Mörder lebt in Nummer 21 ) von Henri-Georges Clouzot: In dem Kassenschlager versucht Scotland Yard einem gerissenen Mörder auf die Spur zu kommen, der die Behörden verspottet, indem er eine Visitenkarte mit dem Namen „Monsieur Durand“ am Tatort hinterlässt. Das Mordmotiv im Film war Geldgier. Petiots Motiv hingegen ließ sich nicht so leicht feststellen.
Gerüchte machten die Runde, der Arzt sei ein „wahnsinniger Sadist“, der seine Opfer auf brutalste Art und Weise quälte und sie dann bei lebendigem Leibe im Löschkalk einsinken ließ. Auch wurde behauptet, Petiot sei ein Raubtier, gierig nach Sex, der seine Beute aus reiner Freude abschlachte. Jean Boissel schrieb in der Le Réveil du Peuple , der Arzt sei auf der Suche nach Menschen gewesen, um sie während schwarzer Messen zu opfern. Le Cri du Peuple konzentrierte die Berichterstattung auf die Tatsache, dass Petiot die Menschen skalpierte. Wiederum andere entwickelten die Theorie, der Verdächtige sei ein wahnsinniger Wissenschaftler, der grauenvolle Experimente durchführte, um seine Folterwerkzeuge zu perfektionieren, darunter eine ferngesteuerte
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