Der Serienmörder von Paris (German Edition)
den beiden, die Gestapo abzuhängen und zu verschwinden. Der ehrenwerte Dr. Eugène war offensichtlich ein guter Läufer. Hatte ihm Dreyfus, überzeugt von seinen Verdiensten für die Résistance, einen Tipp hinsichtlich der Falle gegeben?
Jodkum, außer sich wegen des Fehlschlags, bereitete sich ein zweites Mal darauf vor, die Organisation zu infiltrieren. Ein Agent arrangierte nur vier Tage nach dem Ereignis ein weiteres Treffen. Doch bevor es stattfand, schaltete sich eine andere Behörde in den Fall ein.
Ohne Jodkums Wissen hatte eine weitere Untersektion der Gestapo bezüglich des angeblichen Fluchthelferrings ermittelt. Parallel agierende Organisationen mit ähnlichen oder manchmal sogar rivalisierenden Zielen waren im Dritten Reich berüchtigt, doch das erklärt nur partiell die doppelte Beschattung. Jodkum hatte die Ermittlungen unter der Prämisse durchgeführt, der Organisation die mögliche Fluchthilfe für Juden aus dem besetzten Paris nachzuweisen. Die zweite Gestapo-Abteilung, das Büro IV E–3, gewährleistete die militärische Sicherheit und war für die Spionageabwehr verantwortlich. Die Leiter befürchteten, dass die Fluchthelfer deutschen Soldaten helfen könnten, die eine Desertion dem Risiko einer Versetzung an die Ostfront im Krieg gegen die Sowjetunion vorzogen.
Hauptsturmführer Dr. Friedrich Berger leitete die Abteilung IV E–3. Wie Jodkum hatte auch er einen Spion zur Infiltration der Gruppe eingesetzt, nämlich Charles Beretta, Agent VM-X (V-Mann „X“), ein kleiner Mann, der eher einem Professor ähnelte als dem harten Schwarzmarktschieber und Gauner, der er tatsächlich war. Man hatte ihn 1940 aus einem Gefangenenlager entlassen. Beretta arbeitete danach als Schneider und traf Dr. Berger, woraufhin er sich – verführt durch Geld und Privilegien – von ihm zur Mitarbeit instrumentalisieren ließ. Im Januar 1943 hatte man Beretta schon bei einigen lukrativen Ankauffirmen eingeführt, die im Auftrag der Besatzungsmacht operierten.
Während sich Jodkums Männer also auf einen zweiten Schlag gegen das Untergrundnetzwerk vorbereiteten, entsandte Berger Beretta in den Friseursalon, wo er sich als befristet entlassener Kriegsgefangener ausgab, der die Abschiebung in ein deutsches Arbeitslager befürchte und deshalb verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit suche. Er verriet Fourrier, dass die Deutschen seine Frau in Drancy festhielten und er genügend Geld beschaffen wolle, um sie freizukaufen. Er bettelte, man möge ihn noch in letzter Minute unter den Fluchtwilligen aufnehmen.
Nachdem er eine Reihe von Gesprächen und Überprüfungen durchlaufen hatte, führte man Beretta in das Hinterzimmer des Salons. Wie zuvor Dreyfus übergab er den Männern zehn Fotos für die falschen Papiere. Man zeigte ihm seinen gefälschten Pass, oder ein Dokument, das so aussah. „Der Doktor zeigte ihn mir, aber ich durfte ihn nicht zur näheren Betrachtung in die Hand nehmen“, erzählte er. Beretta sollte beim nächsten Treffen zwei Koffer und einen Bettdeckenbezug mitbringen. Der Gestapo übergab er eine Skizze der Räumlichkeiten.
Obwohl er nichts Näheres zur wahren Identität des Doktors wusste, konnte Beretta den Mann wie folgt beschreiben: „35 bis 38 Jahre alt, ungefähr 1,75 Meter groß, braunes Haar, dünn und sauber rasiert. Er trug einen marineblauen Anzug mit weißen Streifen. Nervös. Er hat die Angewohnheit, sich ständig die Hände zu reiben.“
Beretta spielte die Rolle des verzweifelten Flüchtigen und täuschte eine finanzielle Notsituation vor, woraufhin man die Kosten für ihn von 100.000 Francs auf 60.000 Francs reduzierte. Er bezahlte sofort 10.000 Francs und versprach den Rest für den kommenden Tag. Als Beretta wie abgesprochen eintraf, entrichtete er 45.000 Francs, die ihm die Gestapo zur Verfügung gestellt hatte, jedoch nicht, ohne alle Seriennummern akribisch zu notieren. Die restlichen 5.000 Francs brachte er zu einer Telefonzelle vor dem Café de la Renaissance, nahe der Métro-Station Strasbourg-Saint-Denis. Hier teilte der Friseur Beretta mit, dass er Paris mit einer achtköpfigen Gruppe verlasse. Er behauptete, die Namensliste in einem Büchlein in der Tasche mit sich zu führen.
Am 21. Mai 1943 machte sich Beretta dann wegen der geplanten Abreise zum Salon auf. Dort hielten sich Fourrier und der Visagist Pintard auf, doch Dr. Eugène war nirgends zu sehen. Hauptsturmführer Berger spürte, dass der Leiter des Fluchtrings Verdacht geschöpft, ja, vielleicht sogar
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