Der Serienmörder von Paris (German Edition)
einen Tipp erhalten hatte. Er befahl seinen Gestapo-Männern den Zugriff. Agenten sprangen aus schwarzen Citroëns, stürmten in den Salon und warfen die Männer bei der gerade stattfindenden Geldübergabe auf den Boden.
Als Jodkum von der Verhaftung erfuhr, wurde er fuchsteufelswild. Er hätte es vorgezogen, die Organisation länger zu beschatten, um einen Eindruck von der Gesamtstruktur zu erhalten, nicht nur von den Strohmännern, die man spielend leicht identifizieren und verhaften konnte. Jodkum wollte an die Strippenzieher im Hintergrund herankommen, die ihre Kunden über die Grenze schleusten, an die Büroangestellten, die der Organisation falsche Papiere beschafften, und natürlich an den angeblichen Bargeld-Schatz. All diese Ziele waren nur mit viel Mühe und Arbeit zu erreichen. Bergers panikartiger Zugriff hatte ihm seiner Ansicht nach die hervorragende Chance vereitelt. Da Jodkum einen höheren Dienstgrad bekleidete, riss er den Fall an sich, was zugleich die Kontrolle der Verhöre bedeutete. Die Gefangenen wurden ihm mit einigen Entschuldigungen überstellt. Der Friseur und der Visagist stritten zuerst alles ab, doch als das Verhör zunehmend brutaler wurde, gaben beide zu, für einen Arzt mit exzellenten Verbindungen zu arbeiten, den man als Dr. Eugène kannte. Er ließ seine Kundschaft aus dem besetzten Frankreich über die Berge in die freie Zone schmuggeln oder noch weiter, also durch Andorra und danach Spanien, wo man sie auf ein Schiff nach Argentinien brachte, und kümmerte sich zudem um die falschen Pässe und die benötigten Reiseunterlagen. Der Doktor lebte – wie beide zugaben – in der Rue de Caumartin Nummer 66.
War Marcel Petiot wirklich der Mann, von dem die Gestapo vermutete, er würde verzweifelten Menschen bei der Flucht aus Paris helfen? Gab es in der Gestapo-Akte Hinweise, um die Identität der Leichen in der Rue Le Sueur zu klären? Und was geschah mit Yvan Dreyfus?
Um 18 Uhr des 21. Mai 1943, also drei Stunden nach der Verhaftung der beiden Helfer, stürmte die Gestapo Marcel Petiots Appartement und verschleppte ihn in das Hauptquartier im imposanten ehemaligen Gebäude des Innenministeriums in der Rue Saussaies Nummer 11. Sie verhafteten auch dessen alten Freund René Nézondet, der sich zufälligerweise in der Wohnung befand – mit Theaterkarten für Champis Musikkomödie Ah, la Belle Epoque! , die an dem Abend im Théâtre Bobino aufgeführt wurde.
Ein Gestapo-Hautquartier war ein einschüchternder Ort, sogar für die eigenen Offiziere. Hans Gisevius, ein ehemaliger Beamter der Gestapo, beschrieb die in Berlin vorherrschende Atmosphäre – und diese angespannte Stimmung ließ sich mit Sicherheit auch auf das Pariser Büro übertragen: „Es war eine Mörderhöhle … Wir trauten uns nicht, die paar Meter über den Flur zu gehen und uns die Hände zu waschen, ohne einen Kollegen vorher anzurufen und ihm die Absicht einer solch gefährlichen Expedition mitzuteilen.“
Sein Kollege Arthur Nebe betrat und verließ das Gebäude nur „mit seiner Hand auf der entsicherten Pistole in der Tasche“.
Doch zurück nach Paris.
Bewaffnete Wachen zerrten Petiot für ein Verhör in die vierte Etage. Nach der Entlassung behauptete er, die Gestapo habe ihn während der Haft in einer ganz bestimmten Nacht stündlich verprügelt. Die ersten Tage – „drei Tage und zwei Nächte“, wie er klarstellte – habe man ihn von dem Gebäude aus zu anderen Büros transportiert, darunter auch zu einer Zweigstelle der Abwehr in der Avenue Henri-Martin 101. Petiot musste extrem brutale Verhöre über sich ergehen lassen. Er beschrieb, wie die Folterknechte seine Zähne aufbohrten und sie feilten, wie man seinen Kopf mit einer Art Schraubstock zusammenpresste („die Schädelquetsche“), wonach er tagelang Blut spuckte und auch noch eine lange Zeit danach an Schwindelattacken litt. Er wurde mit „dem Bad“ „behandelt“, einer Technik, bei der man einen Gefangenen auszog und ihn dann zuerst mit dem Kopf (die Arme und Beine waren gefesselt) bis zur Ohnmacht in eiskaltes Wasser tauchte. Daraufhin brachte man ihn so schnell wie möglich wieder zu Bewusstsein, wonach sich die Tortur augenblicklich wiederholte. Danach wurde der Gefangene angezogen und in der durchnässten Kleidung frierend in eine eiskalte Zelle gesetzt.
Manchmal mussten Häftlinge noch brutalere Foltermethoden aushalten, wie das In-die-Länge-Ziehen der Hoden oder das vollständige Zerquetschen sowie das Quälen mit
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