Der Sichelmoerder von Zons
zu. Es war stockfinster. Er konnte nicht einmal seine eigenen Hände vor Augen erkennen.
Stille.
Er lauschte weiter.
Immer noch Stille.
Dann tauchte erneut das gurgelnde Geräusch auf. Im selben Moment trat Bastian auf etwas Weiches und blieb augenblicklich stehen. Mit klopfendem Herzen horchte er weiter in die Dunkelheit hinein, beugte sich vorsichtig hinunter und tastete mit seinen Händen nach dem weichen Gegenstand, auf den er gerade getreten war. Seine Finger wurden fündig und berührten etwas, das sich anfühlte wie grober Stoff.
Wieder das gurgelnde Geräusch! Bastian fuhr zurück.
Oh mein Gott, dachte er, da liegt jemand!
Bastian zerrte seinen Fund mühsam aus der Häusernische in die Mitte der Häusergasse und in den helleren Lichtschein der Sterne hervor. Er konnte nicht viel, außer einer schwarzen Kutte und einem ebenso schwarzen Filzhut, erkennen. Die am Boden zusammengekrümmte Gestalt hob schwach den Kopf und versuchte, zu sprechen. Doch aus ihrer Kehle drang nichts weiter, als ein heiseres gurgelndes Flüstern. Bastian beugte sich über die Gestalt und versuchte sie zu verstehen. Mit letzter Kraft hob der Schwerstverletzte erneut an und röchelte kaum verständlich:
„Rettet die Karte!“
Dann fiel sein Kopf schlaff auf den Boden und jedes Leben wich aus seinem Körper. Bastian berührte den Hals des Toten und konnte eine warme Flüssigkeit fühlen.
Blut.
Er tastete in einen langen grässlichen Schnitt hinein und dachte:
Jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten!
Plötzlich fiel ein Lichtschein auf das Gesicht des Toten und im selben Augenblick erkannte Bastian ihn. Es war Benedict, der Fahnenträger der Sebastianus-Bruderschaft. Er drehte sich um und blickte in die Laterne, die so unerwartet hinter seinem Rücken aufgetaucht war.
„Was treibt Ihr hier in der Dunkelheit, Bastian?“
Jacob, der arme Mann, dessen Haus ein reiner Flickenteppich war, beugte sich über ihn. Die Haustür hinter ihm stand offen.
Jacob hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, weil seine Sorgen ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Er hatte mehrere nächtliche Geräusche wahrgenommen, bis das Schleifen des Leichnams über den Boden ihn endgültig wachgemacht und die schmalen Treppen seines Hauses hinunter auf die Straße getrieben hatte. Er traute seinen Augen nicht, als er den blonden Schopf von Bastian Mühlenberg über etwas gebeugt, direkt vor seiner Haustür, sah. Schnell hatte Jacob sich eine Laterne besorgt, diese jedoch unter einem Tuch verborgen, sodass der Lichtschein ihn erst in letzter Sekunde, als er direkt hinter Bastian stand, verriet.
Erschrocken und zugleich ängstlich betrachtete Jacob den Toten.
„Wie ist das passiert?“
„Ich weiß es nicht, Jacob. Aber seid so gütig und helft mir, ihn von der Straße zu schaffen.“
...
Bastian hatte die ganze Nacht schlecht geschlafen. Im Traum lief er immer wieder die Zehntgasse entlang und versuchte den Schatten, den er kurz vor dem Auftauchen des Nachtwächters wahrgenommen hatte, zu sehen. Er hatte die Schenke „Zur alten Henne“ alleine verlassen. Niemand war ihm gefolgt. Wie konnte der Fahnenträger Benedict Eschenbach ihn da überholt haben? Warum wurde ihm die Kehle durchgeschnitten und was meinte er mit seinen letzten Worten, dass Bastian die Karte retten sollte? Welche Karte konnte Benedict gemeint haben? Müde rieb er sich die Augen und blickte nach rechts. Marie lag schlafend neben ihm. Liebevoll betrachtete er ihr hübsches Gesicht und ihr blondes Haar, welches im Morgenlicht durch die ersten Sonnenstrahlen golden glänzte. Dann schlüpfte er vorsichtig aus dem Bett, bemüht sie nicht zu wecken.
Eine halbe Stunde später stand Bastian gemeinsam mit dem Arzt Josef Hesemann über den toten Benedict Eschenbach gebeugt. Angestrengt betrachteten sie den riesigen Wundrand, der sich an der Kehle des Opfers gebildet hatte und fast von einem Ohr bis zum anderen reichte. Der Kopf war beinahe abgetrennt worden. Nur noch die Halswirbelsäule und ein paar verbleibende Muskelstränge, welche der Klinge standgehalten hatten, hielten Körper und Kopf zusammen. Das Blut war mittlerweile dunkel und hart verkrustet. Josef kratze am Rand der Wunde und ein trockener, fast schwarzer Blutklumpen löste sich und fiel lautlos zu Boden.
„Bastian, Ihr habt mich ganz schön erschreckt, als Ihr mir von dem Toten berichtet habt. Eine furchtbare Sekunde lang habe ich wirklich befürchtet, Ihr hättet meinen Vetter Conrad gefunden. Ich habe
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