Der siebente Sohn
hielten ihre Schwerter und Messer hoch über ihren Köpfen und stürmten die Stadt, hieben auf Männer, Frauen und Kinder ein, allesamt Feinde Gottes, auf daß das verheißene Land von ihrem Schmutz gereinigt würde und bereit wäre, das Volk Gottes aufzunehmen. Am Ende des Tages waren sie blutüberströmt, und Josua stand in ihrer Mitte, der große Prophet Gottes, ein blutiges Schwert über seinem Kopf haltend, und er rief. Was rief er?
Ich kann mich nicht mehr erinnern, was er rief. Wenn ich mich doch nur erinnern könnte, was er rief, dann wüßte ich auch, warum ich hier auf dem Weg stehe, umgeben von schneebedeckten Bäumen.
Reverend Thrower blickte auf seine Hände und dann auf die Bäume. Er mußte sich eine halbe Meile vom Haus der Millers befinden, und er trug nicht einmal seinen schweren Umhang.
Dann dämmerte ihm die Wahrheit: Satan hatte ihn hierher befördert, in Augenschnelle, anstatt es zuzulassen, daß er das Tier tötete. Thrower hatte versagt, bei seiner einzigen Gelegenheit, Größe zu beweisen. Er lehnte sich gegen einen kalten, schwarzen Baumstamm und weinte bitterlich.
Cally kam ins Zimmer, die beiden Klingen über dem Kopf haltend. Measure wollte gerade das Bein fest packen, als der alte Thrower plötzlich abrupt aufstand und hastig den Raum verließ, als müßte er schleunigst zum Abort.
»Reverend Thrower«, rief Ma. »Wo geht Ihr hin?«
Doch inzwischen hatte Measure begriffen. »Laß ihn gehen, Ma«, sagte er.
Sie hörten, wie sich die Vordertür des Hauses öffnete, dann vernahmen sie die schweren Schritte des Geistlichen auf der Veranda.
»Geh und schließe die Vordertür, Cally«, sagte Measure.
Ausnahmsweise gehorchte Cally ohne Widerrede. Ma blickte Measure an, dann Pa, dann wieder Measure. »Ich verstehe nicht, warum er einfach so gegangen ist«, sagte sie.
Measure gewährte ihr ein leises Halblächeln und sah Pa an. »Aber du weißt es, nicht wahr, Pa?«
»Vielleicht«, sagte er.
Measure erklärte es seiner Mutter. »Diese Messer und der Prediger, die können nicht zur selben Zeit mit Al Junior in diesem Zimmer sein.«
»Aber warum denn nicht?« erwiderte sie. »Er sollte doch die Operation durchführen!«
»Na, das wird er jetzt jedenfalls mit Sicherheit nicht mehr tun«, meinte Measure.
Das Messer und die Knochensäge lagen auf der Decke.
»Pa«, sagte Measure.
»Ich nicht«, sagte Pa.
»Ma«, sagte Measure.
»Ich kann nicht«, sagte Faith.
»Nun denn«, sagte Measure, »schätze, ich bin wohl gerade Arzt geworden.«
Er sah Alvin an.
Das Gesicht des Jungen hatte eine tödliche Blässe, die noch schlimmer war als die Rötung des Fiebers. Doch es gelang ihm ein Lächeln, und er flüsterte: »Schätze schon.«
»Ma, du wirst das Hautstück hochhalten müssen.«
Sie nickte.
Measure nahm das Messer auf und führte die Klinge an die untere Markierung.
»Measure«, flüsterte Al Junior.
»Ja, Alvin?« fragte Measure.
»Ich kann den Schmerz ertragen und ganz stillhalten, wenn du nur pfeifst.«
»Ich kann aber keine Melodie halten, wenn ich zur gleichen Zeit versuche, gerade zu schneiden«, wandte Measure ein.
»Brauche keine Melodie«, sagte Alvin.
Measure sah dem Jungen in die Augen und hatte keine andere Wahl, als zu tun, was er verlangte. Schließlich war es ja Als Bein, und wenn er einen pfeifenden Doktor haben wollte, dann sollte er ihn auch bekommen. Measure atmete tief ein und begann zu pfeifen, keinerlei Melodie, einfach nur Noten. Er legte das Messer wieder an den schwarzen Strich an und begann zu schneiden. Zunächst nur flach, weil er hörte, wie Al die Luft einzog.
»Pfeif weiter«, flüsterte Alvin. »Bis zum Knochen.«
Measure pfiff weiter, und diesmal schnitt er schnell und tief zu. Bis auf den Knochen in der Mitte des Strichs. Je ein tiefer Schlitz an beiden Seiten empor. Dann grub er das Messer unter die beiden Ecken und hob Haut und Muskel zurück. Am Anfang blutete es recht heftig, doch das hörte fast sofort wieder auf. Measure überlegte, daß es etwas sein mußte, was Alvin in seinem Inneren tat, um die Blutung zu stoppen.
»Faith«, sagte Pa.
Ma beugte sich vor und legte die Hand an das blutige Hautstück. Al streckte eine zitterten Hand vor und zeichnete einen Keil auf den blutgestreiften Knochen seines eigenen Beins. Measure legte das Messer beiseite und nahm die Säge auf. Sie machte ein schreckliches, quietschendes Geräusch, während er sägte. Aber Measure pfiff einfach nur und sägte, sägte und pfiff. Und schon bald hielt er
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