Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der siebente Sohn

Der siebente Sohn

Titel: Der siebente Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
Vom Netzwerk:
vom betrunkenen Noah: Noah, nackt, mit offenhängendem Mund, ein halb ausgegossener Becher, der noch immer an seinen gekrümmten Fingern hing; Cham, nicht weit entfernt, verächtlich lachend; und Japheth und Sem, die sich rückwärts näherten, um einen Mantel über ihren Vater zu legen, damit sie nicht erblickten, was ihr Vater in seiner Trunkenheit offengelegt hatte. Voller Erregung begriff Geschichtentauscher, daß genau diesen Anblick jener prophetische Augenblick vorhergesagt hatte. Daß er, Geschichtentauscher, hoch in einem Baumwipfel sitzend, das nackte Land in seinem Stupor daliegen sah, wie es auf die keusche Bedeckung des Winters wartete. Es war eine erfüllte Prophezeiung, etwas, auf das man zwar hoffte, das man im eigenen Leben aber nicht erwarten durfte.
    Andererseits war die Geschichte vom betrunkenen Noah möglicherweise überhaupt keine Figurine dieses Augenblicks. Warum sollte es nicht umgekehrt sein? Warum nicht das gerodete Land als Figurine des trunkenen Noah?
    Als er den Baum hinabgestiegen war, war Geschichtentauscher in übler Stimmung. Er dachte nach und dachte nach, versuchte seinen Geist zu öffnen, um Visionen zu schauen, um ein guter Prophet zu sein. Doch jedes Mal, wenn er glaubte, daß er etwas fest in den Griff bekommen hatte, verschob es sich, veränderte es sich. Er dachte einen Gedanken zuviel, und schon löste sich das ganze Gewebe wieder auf, und er war ebenso verunsichert wie zuvor.
    Am Fuße des Baumes öffnete er sein Bündel. Daraus holte er das Buch der Geschichten hervor, das er damals, im Jahre '85 für den Alten Ben gemacht hatte. Vorsichtig schnallte er den versiegelten Teil auf, dann schloß er die Augen und blätterte in den Seiten. Er öffnete die Augen wieder und fand seinen Finger auf den Sprichwörtern der Hölle ruhend. Natürlich – in einer solchen Zeit! Sein Finger berührte zwei Sprichworte, beide von eigener Hand geschrieben. Das eine hatte eine besondere Bedeutung, das andere jedoch schien passend. »Ein Narr sieht nicht denselben Baum, den ein Weiser sieht.«
    Doch je mehr er versuchte, die Bedeutung dieses Sprichworts für diesen Augenblick zu erkennen, um so weniger Verbindungen zur Gegenwart entdeckte er, mit Ausnahme dessen, daß es eben Bäume erwähnte. Daher versuchte er es schließlich doch mit dem ersten Sprichwort: »Wenn der Tor in seiner Torheit beharrlich wäre, würde er weise werden.«
    Aha! Es sagte ihm also doch etwas. Dies war die Stimme der Prophezeiung, festgehalten, als er in Philadelphia lebte, noch bevor er seine Reise überhaupt begonnen hatte, in einer Nacht, da das Buch der Sprichworte für ihn zum Leben erwacht war und er wie in Flammenschrift die Wörter erblickte, die darin enthalten sein sollten. In jener Nacht war er so lange aufgeblieben, bis das Licht der Morgendämmerung die Feuer der Seiten zum Erlöschen gebracht hatte. Als dann der Alte Ben die Treppen heruntergepoltert kam, um sich vor dem Frühstück hereinzumuffeln, war er stehengeblieben und hatte schnüffelnd die Luft geprüft. »Rauch«, hatte er gesagt. »Hast du versucht, das Haus abzubrennen, Bill?«
    »Nein, Sir«, hatte Geschichtentauscher geantwortet, »aber ich habe eine Vision davon gehabt, was Gott mit dem Buch der Sprichworte sagen wollte, und ich habe sie niedergeschrieben.«
    »Du bist von Visionen besessen«, hatte der Alte Ben geantwortet. »Die einzige wirkliche Vision stammt nicht von Gott, sondern aus den innersten Verstecken, des menschlichen Geistes. Wenn du willst, kannst du das gern als Sprichwort aufschreiben. Es ist viel zu agnostisch, als daß ich es für den Poor Richard's Almanac benutzen könnte.«
    »Schaut!« hatte Geschichtentauscher gesagt.
    Der Alte Ben hatte hingesehen und die letzten Flammen erblickt, wie sie gerade erloschen. »Hm, wenn das nicht eine äußerst ungewöhnliche Art ist, mit Buchstaben zu verfahren! Und du hast mir gesagt, daß du kein Zauberer wärst!«
    »Das bin ich auch nicht. Gott hat mir dies gegeben.«
    »Gott oder der Teufel? Wenn du von Licht umgeben bist, Bill, woher willst du da wissen, daß es die Herrlichkeit Gottes ist und nicht die Flammen der Hölle?«
    »Ich weiß es nicht«, hatte Geschichtentauscher voller Verwirrung geantwortet. Weil er damals noch jung gewesen war, noch nicht einmal dreißig, war er in der Gegenwart des großen Mannes leicht zu verwirren gewesen.
    »Oder vielleicht hast du selbst es dir auch gegeben, weil du die Wahrheit so eindringlich haben wolltest.«
    Der Alte Ben hatte den

Weitere Kostenlose Bücher