Der siebente Sohn
warf Geschichtentauscher ein. »Ich möchte dich nicht ausspionieren.«
»Ihr meint, daß Ihr immer nur zufällig spioniert?« fragte Alvin.
Für eine solche Bemerkung hätte er Zuhause eine Ohrfeige bekommen, doch Geschichtentauscher lachte nur.
»Ich habe etwas Böses getan und wußte es nicht einmal«, erzählte Alvin. »Der leuchtende Mann kam und blieb am Fußende meines Bettes stehen und zeigte mir erst eine Vision von dem, was ich getan hatte, damit ich wußte, daß es böse war. Ich kann Euch sagen, ich habe geweint, weil ich erkannte, wie böse ich gewesen war. Doch dann zeigte er mir, wofür mein Talent gedacht ist, und nun sehe ich, daß es dieselbe Sache ist, von der Ihr sprecht. Ich habe einen Stein gesehen, den ich aus einem Berg zog; er war rund wie eine Kugel, und als ich näher hinsah, entdeckte ich, daß es die ganze Welt war, mit Wäldern, Bergen und Tieren. Dafür ist mein Talent gedacht, um zu versuchen, die Dinge in Ordnung zu bringen.«
Geschichtentauschers Augen glitzerten. »Der leuchtende Mann hat dir eine solche Vision gezeigt«, sagte er. »Eine solche Vision, für die ich selbst mein Leben hergeben würde.«
»Nur weil ich mein Talent benutzt habe, um anderen zu schaden, nur für mein eigenes Vergnügen«, erklärte Alvin. »Damals habe ich das feierliche Versprechen abgelegt, Talent niemals für mich selbst zu verwenden, sondern immer nur für andere.«
»Ein gutes Versprechen«, meinte Geschichtentauscher. »Ich wünschte, alle Männer und alle Frauen auf der Welt würden einen solchen Eid leisten und ihn auch halten.«
»Jedenfalls weiß ich daher, daß er… der Entmacher keine Vision ist. Nicht einmal der leuchtende Mann war eine Vision. Was er mir gezeigt hat, das war eine Vision, aber wie er dort stand, war er wirklich.«
»Und der Entmacher?«
»Er ist da. Ich bilde mir ihn nicht nur ein.«
Geschichtentauscher nickte, ohne den Blick von Alvin zu nehmen.
»Ich muß Dinge machen«, sagte Alvin. »Schneller, als er sie zerstören kann.«
»So schnell kann niemand Dinge machen«, wandte Geschichtentauscher ein. »Wenn alle Menschen auf der Welt aus aller Erde viele, viele Millionen Ziegel machten und jeden Tag ihres Lebens an einer Mauer bauten, dann würde die Mauer schneller zerbröckeln, als sie sie bauen könnten. Manche Teile der Mauer würden sogar schon zusammenbrechen, bevor sie sie erbaut haben.«
»Aber eine Mauer kann doch nicht zusammenbrechen, bevor man sie überhaupt gebaut hat«, widersprach Alvin.
»Wenn die Menschen lange genug arbeiten, zerbröckeln die Ziegel zu Staub, wenn sie sie aufnehmen, verfaulen ihre eigenen Hände und tropfen wie Schleim von ihren Knochen herab, bis Ziegel und Fleisch und Knochen sich gleichermaßen in Staub auflösen. Dann wird der Entmacher niesen, und der Staub wird sich so unendlich weit verteilen, daß er niemals wieder zusammenfinden kann. Dann wird das Universum kalt sein, stumm, still, dunkel, und der Entmacher hat endlich zur Ruhe gefunden.«
Alvin versuchte in Geschichtentauschers Worten einen Sinn zu erkennen. Genauso verwirrt war er, wann immer Thrower in der Schule über Religion sprach. Er konnte nicht anders, er mußte seine Fragen stellen, auch wenn so etwas die Leute oft böse machte. »Wenn die Dinge schneller auseinanderbrechen, als sie erschaffen werden, wie kommt es dann, daß überhaupt noch etwas da ist? Warum hat der Entmacher nicht schon längst gewonnen? Was tun wir dann hier?«
Geschichtentauscher war nicht Reverend Thrower. Alvins Frage machte ihn nicht zornig. Er zog nur die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Du hast recht. Dann könnten wir gar nicht hier sein. Dann wäre unsere Existenz unmöglich.«
»Na, wir sind aber hier, falls Euch das noch nicht aufgefallen sein sollte«, meinte Alvin. »Was ist das für eine dumme Geschichte, wenn wir einander bloß anschauen müssen, um zu erkennen, daß sie nicht wahr ist?«
»Ich gebe zu, daß sie ihre Probleme mit sich bringt.«
»Ich dachte, Ihr würdet immer nur Geschichten erzählen, die Ihr glaubt.«
»Während ich sie erzählte, habe ich auch daran geglaubt.«
Geschichtentauscher sah so traurig aus, daß Alvin die Hand ausstreckte und sie dem Mann auf die Schulter legte, obwohl sein Mantel so dick war und Alvins Hand so klein, daß er sich nicht sicher war, ob Geschichtentauscher es überhaupt spürte. »Ich habe sie auch geglaubt. Zumindest, eine Weile.«
»Dann ist auch etwas Wahrheit darin. Vielleicht
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