Der siebente Sohn
lagen sie in ihre Decken gehüllt. Geschichtentauscher fiel auf, daß Miller ein paar Ellen von dem Steinbruch entfernt weicheren Boden hätte finden können. Doch anscheinend war es von größter Wichtigkeit, den Mühlstein im Auge zu behalten.
Geschichtentauscher begann zu reden. Er sprach davon, wie schwer es für Väter sein mußte, mitanzusehen, wie ihre Söhne aufwuchsen, so voller Hoffnung für die Jungen, doch niemals wissend, wann der Tod kommen und das Kind fortholen würde. Es war ein Thema, auf das Alvin Miller nach einigem Zögern einging. Er erzählte die Geschichte von seinem ältesten Jungen Vigor, der im Hatrack River umgekommen war, nur wenige Minuten nach Alvin Juniors Geburt. Und dann kam er auf die vielen Momente zu sprechen, da Al Junior beinahe gestorben wäre. »Immer das Wasser«, sagte Miller zum Schluß. »Es glaubt mir zwar keiner, aber so ist es. Immer das Wasser.«
»Die Frage lautet«, meinte Geschichtentauscher, »ist das Wasser böse, will es einen guten Jungen vernichten? Oder ist es gut und versucht es, eine böse Macht zu vernichten?«
Eine solche Frage hätte viele Männer wütend gemacht, doch Geschichtentauscher hatte es schon lange aufgegeben, zu erraten, wie Miller auf etwas reagieren würde.
»Das habe ich mich auch schon gefragt«, entgegnete Miller ohne sonderliche Erregung. »Ich habe ihn genau beobachtet, Geschichtentauscher. Natürlich besitzt er ein Talent, die Menschen dazu zu bringen, ihn zu lieben. Sogar seine Schwestern. Seit er alt genug war, um in ihr Essen zu spucken, hat er sie gnadenlos gepeinigt. Und doch gibt es nicht eine von ihnen, der nicht irgend etwas einfiele, um ihm eine besondere Freude zu machen. Sie bringen es zwar fertig, seine Socken zuzunähen oder Ruß auf seinen Stuhl zu schmieren, aber zugleich würden sie für ihn sterben.«
»Ich habe festgestellt«, meinte Geschichtentauscher, »daß manche Leute die Fähigkeit haben, die Liebe anderer zu gewinnen, ohne sie jemals verdient zu haben.«
»Ich habe darüber auch schon nachgedacht«, erwiderte Miller. »Aber der Junge weiß gar nicht, daß er dieses Talent besitzt. Er bringt die Menschen nicht durch Tricks dazu, zu tun, was er will. Er läßt sich von mir bestrafen, wenn er etwas Falsches getan hat. Und wenn er wollte, könnte er mich durchaus daran hindern.«
»Wieso denn?«
»Weil er weiß, daß ich manchmal, wenn ich ihn sehe, in ihm meinen Sohn Vigor erblicke, meinen Erstgeborenen, und dann kann ich ihm nicht weh tun, auch wenn der Schmerz zu seinem Besten wäre.«
Möglich, daß diese Begründung zum Teil der Wahrheit entsprach, überlegte Geschichtentauscher. Aber mit Sicherheit war es nicht die ganze Wahrheit.
Ein wenig später, nachdem Geschichtentauscher das Feuer geschürt hatte, erzählte Miller die Geschichte, deretwegen Geschichtentauscher gekommen war.
»Ich habe eine Geschichte«, sagte er, »die möglicherweise in Euer Buch gehört.«
»Versucht es einmal«, erwiderte Geschichtentauscher.
»Sie ist allerdings nicht mir selbst widerfahren.«
»Es muß etwas sein, das Ihr mit eigenen Augen gesehen habt«, erklärte Geschichtentauscher. »Ich habe schon die verrücktesten Geschichten erzählt bekommen, von denen jemand gehört hat, daß sie dem Freund eines Freundes geschehen seien.«
»Oh, ich habe es durchaus mitangesehen. Es geht jetzt schon ein paar Jahre lang, und ich habe einige Unterhaltungen mit dem Burschen geführt. Die Geschichte dreht sich um einen Schweden flußabwärts. Wir haben ihm dabei geholfen, seine Blockhütte und seine Scheune zu bauen, als er hierherkam, ein Jahr nach uns. Und schon damals habe ich ihn ein wenig beobachtet. Ihr müßt nämlich wissen, daß er einen Jungen hat, einen blonden Schwedenjungen, Ihr wißt schon, wie die manchmal aussehen.«
»Mit fast weißem Haar?«
»Wie Frost in der Morgensonne, so weiß und glänzend.«
»Ich kann ihn im Geiste sehen«, erwiderte Geschichtentauscher.
»Und diesen Jungen hat sein Vater sehr geliebt. Mehr als sein eigenes Leben. Ihr kennt doch diese Bibelgeschichte von dem Vater, der seinem Jungen einen Rock von vielen Farben gab?«
»Man hat sie mir erzählt.«
»So liebte er seinen Jungen. Aber ich habe die beiden den Fluß entlangschreiten sehen, und da ist der Vater ganz plötzlich losgesprungen, hat seinen Jungen gestoßen und ihn in den Wobbish gestürzt. Nun war es so, daß der Junge sich an einem Holzscheit festhielt und sein Vater und ich ihm halfen, wieder an Land zu kommen, aber es
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